Sie heißen Clinton oder Klima. Sie lieben Hausmannskost, streicheln Tiere, Fußbälle und echte Babys, jedenfalls solange Fernsehkameras in der Nähe sind. Doch das will organisiert sein. Über politisches Marketing und einen neuen Beruf: den Spin-Doktor.
Sommer 1996: Bill Clinton macht Urlaub. Ein letztes Mal ausspannen vor dem anstrengenden Wahlkampf um die Wiederwahl. Diesmal allerdings urlaubt der Präsident nicht dort, wo er es sonst immer tut, auf der Nobel-Halbinsel Martha’s Vineyard, inmitten von Künstlern und Filmstars, wo schon John F. Kennedy sein Ferien-Domizil aufgeschlagen hatte. Bill Clinton und die First Family fahren ins völlig unglamouröse Wyoming – zum Camping.
Die Idee dazu kam von Dick Morris, einem professionellen Wahlkampf-Strategen und Clintons engstem Berater. Morris, ein bedingungsloser Fan von Meinungsumfragen, hatte eine Liste demoskopisch aussichtsreicher Urlaubsaktivitäten ausgearbeitet und empfahl dem Präsidenten ein paar Wochen im Zelt: „Wir liegen bei verheirateten Paaren mit Kindern nicht sehr gut. Jetzt ist die Zeit, daß Sie und ihre Familie sich bei jenen Dingen zeigen, die auch der durchschnittliche Wähler tut.“
Und Jungfamilien, so hatten Morris Umfragen ergeben, liebten Camping-Urlaube. Clinton ließ sich überzeugen. Ab nach Wyoming, ein paar Kamerateams im Schlepptau. Nur das Golfspiel – obwohl laut Morris zu „elitär“ – ließ sich der Präsident nicht verbieten.
Gestatten: Dick Morris. Beruf: Spin-Doktor.
Spin: das ist der Dreh, die Richtung, die eine Sache – in diesem Fall die Berichterstattung über einen Politiker – nimmt. Und der Job eines Spin-Doktors ist es, diese Richtung zu beeinflussen, wenn möglich, überhaupt zu bestimmen. Oder wie es der vielbeschäftigte amerikanische Krisen-PR-Berater Michael Sitrick in seiner Gebrauchsanweisung „Spin: How to turn the power of the press to your advantage“ ausdrückt: „Dafür zu sorgen, daß Ihre Geschichte so erzählt wird, wie Sie sie erzählt haben wollen.“
In Fall von Clintons Urlaub war Spin-Meister Morris allerdings wenig erfolgreich: Obwohl US-Präsidenten normalerweise während ihrer Ferien (mangels politischer Kontroversen) in den Meinungsumfragen zulegen, blieben Clintons Werte konstant – trotz Zelten kein Zuwachs. Im Rückblick gestand Morris dann auch selber ein: „Mit diesem Rat habe ich es wohl in’s sinnlose Extrem überzogen.“ Spin – eine amerikanische Spinnerei?
Der Mann im dunkelblauen Dreiteiler, weißen Hemd und roter Krawatte steht mitten in einem ehrwürdigen Spiegelsaal – und kickt lachend einen Fußball an der Kamera vorbei. Es ist Sommer 98 – „Ganz Österreich steht im Bann der Fußball-WM“ und der österreichische Bundeskanzler tritt im Kanzleramt das Leder.
An der Fotoserie – einer prächtigen Doppelseite – kann sich dann die knappe Million Leser einer Fernseh-Illustrierten freuen. Dieselbe übrigens, in der wenige Monate zuvor der Kanzler samt Ehefrau auf der heimischen Wohnzimmer-Couch Herrmann Maier zujubelte – ebenfalls doppelseitengroß. Damals stand „ganz Österreich“ im Bann der Schi-Olympiade. (Das Foto wurde übrigens in zwei Versionen aufgenommen: einmal jubelnd, einmal bangend – der Fototermin lag nämlich vor dem Rennen, aber die Zeitung erschien erst danach.) Und wenn ganz Österreich gebannt ist, darf der Bundeskanzler dabei nicht fehlen: ein Mann wie Du und ich. Der auch seit langem, wie viele von uns, von einem kleinen Häuschen im Grünen träumt.
Vor wenigen Wochen schließlich war es soweit und die fesche Kanzler-Gattin konnte Klimas „kleine Farm“ im Südburgenland auf vielen Fotos in einem Wochenmagazin dem Millionenpublikum präsentieren. Und weil sich die Kanzler-Familie, wie so viele glückliche Paare, auch sehnlichst Nachwuchs wünscht, wird vorerst – mangels eigenem Baby – das drei Monate alte Kind eines Zeitungsredakteurs in die Kamera gehalten. Was tut man nicht für ein Vierfarb-Foto auf Seite eins der vielgelesenen Sonntagsausgabe.
Mit Spin hat das – selbstverständlich – ganz und gar nichts zu tun: „Ich brauche keine Spin-Doktoren“, empört sich der Bundeskanzler im FORMAT-Interview, um dann noch draufzusetzen: „Ich habe Mitleid mit jenen, die sich als Spin-Doktoren bezeichnen.“„Ich halte von dem ganzen Spin-Doctoring und politischen Marketing wenig“, ergänzt – ohne jede Selbstironie – Klimas Partei- und Wahlkampfmanager Andreas Rudas.
Aber gerade Rudas und die anderen Medienberater des Kanzlers und SPÖ-Chefs gelten als Österreichs erste professionelle Spin-Doktoren, auch wenn der Pressesprecher des Kanzlers sich dadurch völlig mißverstanden fühlt: “Alles nur eine Erfindung der schwarzen Spin-Doktoren.
“Erfahrende Politikbeobachter sind anderer Meinung: „Keine Partei hat die Erfordernisse der modernen Marktwirtschaft so gut durchschaut wie die Sozialdemokratie“, analysiert der Meinungsforscher und Politik-Berater Wolfang Bachmayer: „Wichtig sind Marktnähe, Kundenorientierung, Verpackung und mediengerechte Inszenierung. Die Folge ist eine zunehmend entleerte, weitgehend ideologie- und keimfreie Politik.“
Dahinter stünden „meisterhafte Regisseure des Medientheaters“ – die Spin-Doktoren eben, auch wenn sie nicht so genannt werden wollen. Der Spin-Doktor: das Unbekannte Politik-Objekt.
Der Spin-Doktor kommt – wie praktisch alles im modernen politischen Marketing – aus den USA. Dort exisiertiert er schon länger. Konkret seit dem 21. Oktober 1984, als das Wort spin doctor zum allerersten Mal auftauchte, in einem Bericht der NEW YORK TIMES über die Fernseh-Debatte zwischen Ronald Reagan und seinem Herausforderer Walter Mondale. Die spin doctors waren laut NEW YORK TIMES jene senior advisers der Kandidaten, deren Hauptaufgabe es war, die Reporter nach der TV-Konfrontation davon zu überzeugen, daß – und warum – ihr Kandidat überlegen gewonnen hatte.
Der berühmteste – der Vater aller Spin-Doktoren sozusagen – hieß Michael Deaver und war jener Mann, der Ronald Reagan inszenierte. Deaver sah sich selbst als „Impresario der optischen Choreographie“ des gelernten Schauspielers Reagan. Er war davon überzeugt, daß nichts so wichtig war für den Erfolg seines Chefs, wie dessen Image. Und dieses wurde nirgendwo sosehr geprägt wie im Fernsehen, dem dominanten Medium der letzten Jahrzehnte.
Dummerweise nur konnte Deaver den renommierten und traditionell unabhängig-kritischen White House Correspondents nicht vorschreiben, was sie über Reagan zu berichten hatten. Aber er konnte es zumindest massiv beeinflussen. Indem er nämlich so manche Entscheidung, die bis dahin die Kameraleute und Journalisten selbst getroffen hatten, einfach vorwegnahm.
Und so organisierte Deaver eine Fernseh-Präsidentschaft, in der jede öffentliche Aktivität des Präsidenten fernsehgerecht aufbereitet war. Er bestimmte, welche Bilder gemacht werden konnten, nicht die Kamera-Teams.
Jeder Auftritt Reagans wurde von einem eigenen advance team vorbereitet, jeder Hintergrund penibel auf seine Fernsehtauglichkeit überprüft, jedes Statement geprobt, jedes event auf den Redaktionsschluß der Abendnachrichten ausgerichtet: so früh, daß es sich noch ausging, aber so spät, daß nicht mehr viel recherchiert und gefragt werden konnte.
Deaver war von der Macht der Bilder restlos überzeugt: „Wir suchen immer nach dem Bild, das für sich selbst spricht. Das Bild erzählt die ganze Geschichte, egal was Ronald Reagan sagt.“
So weit ging der unbedingte Glaube von Reagans Spin-Doktoren an die Kraft der Bilder, daß sie sich auch über kritische TV-Berichte freuten, solange nur die Bilder stimmten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür erzählt der Journalist Hedrick Smith in seiner detailreichen Studie „The Power Game“:
Präsidentschaftswahlkampf 1984. Fall für Fall belegte die renommierte CBS-Korrespondentin Lesley Stahl in einem langen Bericht die Versuche des Weißen Hauses, die Öffentlichkeit mittels inszenierter Bilder zu manipulieren. Zu jedem der kunstvoll komponierten Bilder erzählte die Redakteurin die Geschichte ihrer Entstehung. „Es war die brutalste Geschichte, die ich je über Reagan gemacht hatte“, erinnerte sich Lesley Stahl Jahre später.
Kaum war sie ausgestrahlt, läutete das Telefon: „Großartige Story“, sagte die Stimme aus dem Weißen Haus. „Wie bitte?“, antwortete Stahl: „Haben Sie zugehört, was ich berichtet habe?“ Und die Stimme sagte: „Lesley, wenn Sie viereinhalb Minuten lang großartige Bilder von Ronald Reagan herzeigen, hört kein Mensch darauf, was sie sagen. Wissen Sie nicht, daß die Bilder ihre Worte einfach zudecken. Niemand hat ihnen zugehört. Für uns war das ein viereinhalb Minuten langer Werbespot für die Wiederwahl von Ronald Reagan.“
Spin-Doktoren sind Bilder-Produzenten – in einer Fernseh-Welt, die auf Bilder angewiesen ist. Die Politik wird von ihnen bereits fertig verpackt geliefert. So kunstvoll oft, daß vom Inhalt nur mehr wenig zu sehen ist. Der Spin-Doktor – ein Verpackungskünstler.
„Politik ist heute Politik über das einzige – in Zeit, Wort und Raum – authentische Medium: das Fernsehen. Wer am Bildschirm flimmert, ist echt. Umgekehrt: Politik, die im TV nicht ankommt, ist nicht erfolgreich.“ Der Mann, der das – 15 Jahre nach Michael Deaver – auch in Österreich erkannt hat, ist einer jener SPÖ-Strategen, die so gar keine Spin-Doktoren sein wollen: der ehemalige Fernseh-Manager Andreas Rudas.
Fernsehen ist das „Leitmedium der Inszenierung von Politik“ geworden, erklärt der deutsche Politikwissenschafter Ulrich Sarcinelli und sein österreichischer Kollege Fritz Plasser ergänzt: „Es liefert eine Art neues Politikformat. Politik gleichsam im Fernsehformat.“ Politik wird zur „Tele-Politik“.69 % der Wähler der letzten Nationalratswahl nannten das Fernsehen als ihre „primäre Informationsquelle“.
Wer also seine Botschaft und seine Kandidaten an die Wähler bringen will, muß sie ins Fernsehen bringen. Und das heißt, politisches Handeln in Bilder zu übersetzen oder gar politisches Handeln durch Bilder zu ersetzen. Die Darstellung von Politik wird in der Fernsehdemokratie wichtiger als die Herstellung von Politik. Nicht was getan wird, ist entscheidend, sondern was die Medien, und vor allem das Fernsehen, darüber berichten.
Die Folgen für den politischen Diskurs sind augenfällig: totale Personalisierung; Reduktion des politischen Personals, das überhaupt noch wahrgenommen wird, auf einige wenige Star-Politiker, die vor allem TV-kompetent sein müssen und eine immer härtere politische Konfrontation: ein neuer „populistischer Video-Stil“ der Politik – „Tele-Rhetorik“ (Fritz Plasser) voller flotter Sprüche und Schein-Polarisierungen: der „Tele-Politiker“ Jörg Haider als prototypisches Exemplar.
Es gibt aber auch die zahllosen kleinen Beispiele, den Alltag „symbolischer Politik“: Die ÖVP-Pressekonferenz zum „Karenzgeld für alle“, die mit betroffenen Müttern und vor allem mit entzückenden Kleinkindern aufgeputzt wird. Nicht nur fade Politiker, sondern richtige, lebendige Menschen. Garantie für einen Bericht in der ZEIT IM BILD.
Bürokratie-Reform. Kaum ein Thema ist ungeeigneter für’s Fernsehen. Wenn allerdings Finanzminister und Staatssekretär im TV-Studio einer Beamten-Sitcom eine überdimensionale Stempelmarke zerreissen, ist die Fernseh-Story praktisch sicher – und das Farbfoto auf dem Cover der KRONENZEITUNG auch (zweieinhalb Millionen Leser – der Jackpot für Spin-Doktoren sozusagen).
Der FPÖ-Chef stellt seine neuen Stellvertreterinnen vor: lauter Frauen. Zu sagen haben sie nicht viel, aber das Farbbild von der versammelten Frauen-Power kommt in fast jeder Zeitung und ist allemal gut für eine Partei, die ein Problem mit weiblichen Wählern hat.
Der Kanzler präsentiert seine „Lehrlings-Offensive“. Aber nicht im ewig gleichen Saal des Kanzleramtes, sondern in einer echten Fabrik mit gelbem Schutzhelm auf dem Kopf und mit echten Lehrlingen. Der Kanzler „im richtigen Leben“, da sind vielleicht auch eineinhalb Minuten drin.
Überhaupt: der Kanzler. Allein schon durch seine Stellung als Regierungschef hat er einen unerhörten Berichterstattungs-Bonus. Jeden Dienstag der rituelle Bericht vom Pressefoyer nach dem Ministerrat – garantierte 1,8 Millionen Zuseher allwöchentlich. Was der Kanzler dabei sagt, weiß tags darauf kaum mehr einer – wohl aber, wie es ausgesehen hat.
Also ließ sein Pressesprecher („Ich bin froh, daß ich in dieser ganzen Spin-Doktoren-Saga nur eine Nebenrolle gespielt habe.“) eine neue Dekoration designen – mit Glaspult (modern!), Österreich-Fahne (staatstragend und patriotisch!) und EU-Flagge (international und vor allem blau! – die beste Farbe im Fernsehen. Deshalb steht auch Bill Clinton immer vor Blau.) Und ganz wichtig: die neue Absperrung durch eine Kordel. Die Journalisten werden auf Distanz gehalten. Die mitunter unvorteilhaften Kamera-Perspektiven durch das Gewühl von früher sind unmöglich geworden.
Der Vizekanzler durfte da natürlich um nichts nachstehen – er ist schließlich auch jeden Dienstag im Fernsehen. Jetzt hat auch er eine neue Deko. Ganz so gelungen ist sie allerdings nicht – beiger Hintergrund; kommt gar nicht gut.
Aber die zunehmende Inszenierung von Politik durch professionelle Regisseure, durch die Spin-Doktoren, ist nicht auf das Fernsehen und seinen unstillbaren Hunger nach Bildern allein zurückzuführen: Jahrzehntelang konnten sich die Strategen der großen Parteien auf ihre Wähler verlassen. Regelmäßig, bis in die 80er Jahre, wählten 95 % der Österreicher ÖVP oder SPÖ.
Aber in den letzten Jahren sind die Wähler untreu geworden, die alten Parteibindungen sind zerbröselt, nicht einmal mehr zwei Drittel können sich für eine der beiden Traditionsparteien erwärmen (partisan dealignment nennen die Politologen diesen Vorgang, der in praktisch allen westlichen Demokratien zu beobachten ist).
Die wichtigen und kaum veränderlichen Wahlmotive von einst – Beruf, Stadt- oder Landbewohner, Religion – haben ihre Bedeutung verloren. Die traditionellen Ideologien haben keine Bindekraft mehr. Die Stammwähler sterben aus, die Zahl der Wechselwähler und late deciders, die sich je nach Stimmung erst wenige Tage vor der Wahl entscheiden, nimmt ständig zu.
Diese unberechenbaren Wähler müssen umworben werden wie Konsumenten im Supermarkt – mit den gleichen Mitteln modernen Marketings, akribische Marktforschung inklusive. Bill Clintons Spin-Doktor Dick Morris machte daraus die „60-Prozent-Regel“: Wenn in einer Umfrage mindestens sechs von zehn Wählern für oder gegen eine Maßnahme seien, dann hätte sich der Präsident dem jedenfalls anschließen.
Dementsprechend blieb nichts, aber auch gar nichts, ungetestet: Vor dem Wahlparteitag der Demokraten etwa wurde der Wahlslogan („Eine Brücke ins nächste Jahrhundert bauen“) ebenso abgefragt wie der populärste Gast-Redner (Es gewann der querschnittgelähmte Superman–Darsteller Christopher Reeves) oder die maximal verträgliche Länge der Reden (höchstens 40 Minuten).
Die republikanischen Spin Doktoren setzten auf ihrem Parteitag sogenannte dial meters ein, elektronische Meßgeräte, die bei einer ausgewählten Gruppe von Fernseh-Zusehern die Hautwiderstände abtasteten. Über Datenleitung wurden die Meßergebnisse in die Parteitagszentrale übertragen. Kaum zeigten die Testpersonen negative Reaktionen auf die TV-Übertragung, wurde umgehend das Programm geändert.
Im Fernseh-Zeitalter hat moderne Politik noch ein weiteres Problem: sie ist einfach zu kompliziert. Gentechnik-Verordnungen oder Sozialversicherungsreformen sind in den üblichen „Einsdreißig“ – als den eineinhalb Minuten – eines ZIB-Berichtes nahezu unmöglich zu erklären. Aber: Politik wird von Menschen gemacht und „Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch“, wie altgediente Journalisten wissen.
So entstehen dann die zahllosen Homestories, in denen Politiker ihre Haustiere (wie tierlieb!) und Hobbies (Bergsteigen oder Fußball – nie Heli-Skiing in Kanada) vorführen, vom Lieblings-Urlaub erzählen (meistens Österreich) oder der Lieblingsspeise (immer Hausmannskost – nie Austern) und ihre Kinder herzeigen (Familienkompetenz!). Die Botschaft: Kein abgehobener Politiker – ein Mensch.
Das Ziel der Inszenierung ist ironischerweise ihr eigenes Gegenteil: Authentizität. Das Problem dabei: Ein Politiker, der sich als glaubwürdig und vertrauenswürdig präsentiert, indem er ständig sein Privatleben an die Öffentlichkeit zerrt, wird plötzlich auch als Mensch – und nicht nur als Amtsträger – angreifbar. Fehlverhalten wird folgenreicher.
Aber die Versuchung ist groß: Im Fernsehen und den reichweitenstarken Illustrierten kommen die netten Bilder einfach besser als die dröge Pressekonferenz zum komplizierten Sachproblem. Personalisierung als Reduktion von Komplexität. Komplexität bedeutet Langeweile. Und die wird vom Medienkonsumenten der modernen Unterhaltungs-Gesellschaft gnadenlos bestraft: mit der Fernbedienung.
Besonders empfiehlt sich eine ausgefeilte Inszenierung dann, wenn es eigentlich nichts mehr zu erklären gibt. Weil national organisierte Politik in einer globalisierten Welt immer weniger entscheiden kann – es aber kaum ein Politiker wagt, sich öffentlich für machtlos zu erklären. Für die Spin Doktoren zunehmend machtloser Politiker geht es deshalb vor allem darum, Vertrauen in die Beherrschbarkeit des Systems zu schaffen: „Symbolische Politik bedeutet dabei nicht, ein Problem tatsächlich zu lösen, sondern den Glauben an seine grundsätzliche Lösbarkeit zu stärken, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren“, so der Politologe Fritz Plasser.
Deshalb sagt der Bundeskanzler nahezu keinen Satz, in dem das Wort „machen“ fehlt; stürmt von der Parlamentssitzung ins niederösterreichische Hochwassergebiet, wo er den Dreiteiler gegen Jeans, Gummistiefel und Regenmantel tauscht und ein paar Eimer Wasser schöpft – jedenfalls solange Fernsehkameras in der Nähe sind. Und er verspricht jedem Lehrling, der keine Stelle findet, er könne sich „an mich persönlich wenden“. Die aus Amerika importierte Botschaft: „He cares“ – der Mann versteht die Sorgen der Wähler und er kümmert sich darum.
Moderne Politik ist inszenierte Politik. Selbstverständlich, viele Voraussetzungen sind in Österreich anders als in den USA. Die Parteiorganisationen sind stärker, der Wettbewerb der Medien ist noch nicht so brutal, die politische Kultur ist eine andere. Doch die Megatrends der Mediendemokratie haben auch Österreich längst erreicht.
Auch bei uns wird die Politik in Zukunft nicht unkomplizierter, die Wähler werden nicht berechenbarer und das Fernsehen ist ebenso zum beherrschenden Medium geworden wie anderswo. „Wir leben in einer Guck-Guck-Welt“, erkannte der amerikanische Kulturkritiker Neil Postman schon Anfang der 80er Jahre. Und diese Guck-Guck-Welt braucht ständig neue Bilder. Viel Arbeit also für die Bilder-Produzenten. Ob sie sich Spin-Doktoren nennen oder nicht.
PS: Dick Morris, der Mann, der Clintons Camping-Urlaub erfand, musste kurz darauf zurücktreten. Eine Boulevardzeitung hatte sein Verhältnis mit einer Prostituierten enthüllt. Besonders peinlich war das Foto der beiden schmusend auf einem Hotelbalkon. Über ein Bild gestolpert.
Aus: DIE PRESSE Spectrum, 7./8. August 1999: 1f.