Karim El-Gawhary bei der Preisverleihung am 2.5.2011

Der Grenzgänger

Gestern wurde der renommierte Concordia-Preis für Pressefreiheit an Karim El-Gawhary verliehen, den Nahost-Korrespondenten des ORF, der seit Anfang des Jahres nahezu rund um die Uhr in Radio und Fernsehen über den „Arabischen Frühling“ berichtete.

Die Begründung der Jury: „Karim El-Gawhary zeigt in seiner Berichterstattung über die Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten auf, wie durch das Recht auf Presse- und Informationsfreiheit ein Fenster in eine andere Welt geöffnet und Verständnis und Interesse in Österreich für die Anliegen der Menschen im Norden Afrikas geweckt werden kann. El-Gawhary verabsäumt es auch nie – sei es in seinen Analysen für den ORF, in seinen Printartikeln für diverse Tageszeitungen oder in seinem Web-Blog „Arabesken“ – auf die Möglichkeiten der Information trotz eingeschränkter Pressefreiheit hinzuweisen und zeigt, wie erste Ansätze einer freien Presse genützt werden.“

Bei der Preisverleihung im Parlament in Wien durfte ich die Laudatio auf Karim halten – und das habe ich sehr gerne getan.


Zu Beginn möchte ich einen Vorschlag machen. Vielleicht könnte die Concordia ja eine Kopie dieser schönen Urkunde an folgende Adresse schicken: Altheimer Eck 3, 80331 München. Dort ist die Deutsche Journalistenschule zuhause. Und dort ist Karim El-Gawhary als 19jähriger bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen.

Glücklicherweise hat er sich davon nicht abschrecken lassen und hat seinen eigenen Weg in den Journalismus gefunden. Und das war und ist ein sehr interessanter Weg – auf gewisse Weise auch ein Grenzgang. Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit gerne über Karim El-Gawhary als journalistischen Grenzgänger sprechen – als Grenzgänger in dreifacher Hinsicht.

Grenzgang Nummer 1: Karim lebt seit zwei Jahrzehnten in Kairo und arbeitet von dort als Nahost-Korrespondent. Das ist nicht unbedingt das übliche Modell. Korrespondenten sind normalerweise für drei bis maximal fünf Jahre an einem Ort stationiert – wie Diplomaten. Die Idee dahinter ist eine ähnliche wie im diplomatischen Dienst. Diplomaten sollen nicht vergessen, woher sie kommen und für wen sie berichten. Sie sollen im Gastland nicht allzu heimisch werden, sich dort nicht mehr  zuhause fühlen als im Land, das sie entsandt hat. Ähnliches gilt für Korrespondenten. Üblicherweise interessiert den Einheimischen ja etwas anderes an seinem Land als den Fremden. Wer zu heimisch wird – so die Theorie – verliert möglicherweise diesen Abstand, diesen oft auch hilfreichen Blick von außen.

Doch der Nachteil dieses Modells ist auch offensichtlich. Kaum kennt man sich als Korrespondent halbwegs aus, zieht man schon wieder weiter – in die Heimatredaktion oder ins nächste Land, wo man wieder von vorne beginnt. Die Chance, ein Land, eine Region wirklich zu ergründen, zu verstehen, vielleicht auch zu erfühlen, entsteht so kaum. Geschweige denn ein echtes soziales Netzwerk, das über die Beziehungen zu anderen Journalisten, Diplomaten und den üblichen politisch-medialen Komplex hinausgeht.

Am schwierigsten ist es natürlich für sogenannte „Fallschirm-Reporter“, die schnell einfliegen, wenn’s wo brennt. Wenn’s gut geht, kennen sie das Land von früheren Besuchen. Wenn’s sehr gut geht, beherrschen sie die Sprache – aber nicht selten stimmt weder das eine noch das andere. Das ist nicht die Schuld der Fallschirm-Reporter – im Gegenteil: das sind oft besonders fleißige und einsatzwillige Kollegen, die bereit sind, auf Abruf alles liegen und stehen zu lassen, ins nächste Flugzeug zu springen und kaum, dass sie am Zielort aus dem Flieger fallen, schon die erste Geschichte zu überspielen.

Und in Zeiten, in denen in allen Redaktionen derart gespart wird, ist man ja schon froh, wenn die Chefredaktion ein Flugticket und ein paar Nächte im Hotel bewilligt – sodass zumindest nicht alles nur aus Agenturen abgeschrieben werden muss.

Karim El-Gawhary ist hier buchstäblich das Gegenmodell: seit genau 20 Jahren schreibt er über den Nahen Osten, seit dem ersten Irakkrieg 1991. Aber er schreibt nicht nur darüber, er lebt da. Er spricht die Sprache – allerdings nicht als zweite Muttersprache, wie man vielleicht meinen möchte. Sein Vater ist zwar Ägypter, seine Mutter ist Deutsche, aber als Kind in Bayern hat er nur wenige, dafür nützliche arabische Vokabel gelernt:  Ja, Nein und „du Hundesohn“ (hat er mir selbst erzählt).

Arabisch hat er erst auf der Uni gelernt, in Berlin und in Damaskus, als er Islamwissenschaften studiert hat. 1991 kam dann nach Kairo, um seine Diplomarbeit über islamisches Bankwesen zu schreiben. Der erste Golfkrieg geriet ihm dazwischen, damals begann er für ein Zeilenhonorar von 39 Pfennig Berichte für die TAZ in Berlin zu schreiben, für die er auch heute noch arbeitet.

Über ber diese Anfänge als Journalist sagt er heute: „Ich hatte natürlich von nichts eine Ahnung“. Das hat sich seither grundlegend geändert. Heute kennt er den Nahen Osten, nicht nur als Besucher sondern auch als Einheimischer und als Journalist. Aber eben – und das scheint mir wichtig – nicht als einheimischer Journalist.

Als Jugendlicher wollte er übrigens schon Journalist werden, allerdings nicht unbedingt Nahost-Korrespondent – der Nahe Osten war ihm nämlich damals „zu kompliziert“, wie er sagt. Heute versucht er mit allen medialen Mitteln, in Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet und Büchern seinem Publikum diesen komplizierten Nahen Osten näher zu bringen. Er versteht sich deshalb „nicht nur als Journalist, sondern auch als kultureller Übersetzer“, wie er kürzlich dem FALTER in einem sehr lesenswerten Interview erzählte.

Aber wo fühlt er sich nun zuhause – in Deutschland oder in Ägypten, wo er nun schon fast ebenso lange lebt? „Ich habe kein richtiges Zuhause“, sagt Karim im FALTER-Interview. Er wundere sich, wenn er in Deutschland sei und er wundere sich immer wieder über die Ägypter. Und das scheint mir für seine Arbeit eine ideale Voraussetzung zu sein: sich wirklich auskennen – sich aber trotzdem wundern können. Sich wundern über das Land, über das man schreibt, aber auch über das Land, für das man schreibt.  So bewältigt er den Grenzgang Nummer 1.

Das führt mich zum nächsten Grenzgang. Der berühmte deutsche Fernsehjournalist Hanns-Joachims Friedrichs hat einmal den berühmten Satz gesagt: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Das war keineswegs ein Plädoyer für Haltungslosigkeit und Beliebigkeit – im Gegenteil, das war ein Plädoyer für eine glasklare Haltung: für kritische Distanz.

Aber kritische Distanz heißt nicht zwangsläufig Äquidistanz. Das heißt nicht, dass alle und jede, über die man berichtet, gleich gut und gleich böse sind. Kritische Distanz zeigt sich allerdings daran, immer skeptisch zu bleiben. Gute Journalisten sind keine Fans – sondern kritische Beobachter, die immer für möglich halten, dass auch die, die wie die Guten aussehen, letztlich vielleicht keine Guten sind.

Das bringt mich jetzt wieder zu unserem Preisträger. In einem kurzen, sehr persönlichen Text für die PRESSE hat Karim El-Gawhary Ende März beschrieben, „Wie eine neue Generation Kairo eroberte“. Wie sich vor einigen Monaten jeder in seinem Freundeskreis ein Facebook-Konto eingerichtet hat. Wie sich der gleiche Freundeskreis dann jeden Tag auf dem Tahir-Platz getroffen hat. Wie Bekannte plötzlich als Interview-Partner im Fernsehen aufgetaucht sind und eine Freundin eine politische Talkshow moderiert. Wie der Freundeskreis zusammen sitzt, im Hintergrund die Moderatoren-Freundin im Fernseher läuft und auf den Laptops die neuesten revolutionären Musikvideos. Und wie über nichts mehr anderes diskutiert wird als über Politik, aber – Zitat –  „nicht mehr als ohnmächtige Zuschauer, sondern als Gestalter. So fühlt es sich an, wenn eine neue Generation die Zügel übernimmt.“

Ich fand diesen Satz nicht unproblematisch, als ich ihn las. Dann habe ich mich allerdings erinnert, als ich im Herbst 1989 – als ahnungsloser junger Fallschirm-Reporter (der aus einem Auto gefallen war) – in Prag war, bei einer Pressekonferenz in der Laterna Magica hinterm Wenzelsplatz, als Vaclav Havel, der Priester Vaclav Maly, Rita Klimova und andere Vertreter des Bürgerforums auf der Bühne saßen und von den Ereignissen des Tages berichteten, wie jeden Abend in jener November-Woche der Samtenen Revolution. Am Nachmittag dieses 24. November hatte Alexander Dubček das erste Mal seit über zwei Jahrzehnten wieder am Wenzelsplatz gesprochen, vor 200.000 Menschen, die für Freiheit und Demokratie demonstrierten und nicht wussten, ob nicht jeden Moment doch noch die Panzer aufrollen würden.

In der abendlichen Pressekonferenz – während Vaclav Havel gerade spricht – tritt ein Mann aus dem schwarzen Vorhang auf der Bühne und flüstert Vaclav Maly etwas ins Ohr. Der Priester schaut erst ungläubig und schüttelt den Kopf. Der Mann sagt ihm wieder etwas ins Ohr. Maly lächelt, wendet sich an Havel und ans Publikum – zwei-, dreihundert Journalisten aus aller Welt – und sagt: „Wir sollten für eine wichtige Nachricht unterbrechen. Das Politbüro der KPČ ist zurückgetreten.“

Diesen Moment werde ich nie vergessen – die ersten im Saal beginnen zu applaudieren, immer mehr, immer lauter, dann stehen die ersten auf, nach wenigen Sekunden steht der ganze Saal und applaudiert und jubelt und etlichen Journalisten, hartgesottenen internationalen Reportern, laufen die Tränen übers Gesicht. Da war keiner dabei, der sich nicht gefreut hat, der nicht das Gefühl hatte, Augenzeuge eines historischen Ereignisses zu sein – einer demokratischen Revolution, die ein paar Monate zuvor niemand für möglich gehalten hätte.

Zwischen Demokratie und Diktatur gibt es keine Äquidistanz. Das wäre nicht journalistisch, das wäre zynisch. Aber sich über den Sturz einer Diktatur zu freuen, heißt nicht, jene, die sie gestürzt haben, kritiklos zu bejubeln. Journalisten sollen keine Cheerleader sein und schon gar nicht Teil einer Mannschaft. Sie sollen auch Ereignisse, über die sie sich freuen, die sie rühren und auch berühren, mit Skepsis beobachten, analysieren, hinterfragen und kritisieren. Und genau das macht Karim El-Gawhary seit drei Monaten in Tunesien und Ägypten, seit zwei Monaten in Libyen und hoffentlich demnächst in Syrien und im Jemen und vielleicht sogar irgendwann in Saudi-Arabien. So bewältigt er Grenzgang Nummer 2.

Und der letzte Grenzgang hat schließlich damit zu tun, in welcher Form Karim El-Gawhary seine journalistische Arbeit macht. Er ist ja so etwas wie eine „eierlegende Wollmilchsau“. Genau die Art von Journalist, die sich der moderne Newsroom-Manager, der schon mehr Controller ist als Journalist, auf seinen Powerpoint-Folien gerne ausmalt. Und noch mehr.

Denn Karim arbeitet nicht nur trimedial – Radio, Fernsehen, Online – sondern polymedial. Er kommt ja von der Zeitung und schreibt nach wie vor regelmäßig für die TAZ und DIE PRESSE, außerdem für die ZÜRCHER SONNTAGSZEITUNG, die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE, die STUTTGARTER NACHRICHTEN, die BADISCHE ZEITUNG, die RHEINISCHE ZEITUNG und den BONNER GENERALANZEIGER. Seit 2004 leitet er das ORF-Büro in Kairo und berichtet für Radio und Fernsehen.

Und seit einiger Zeit schreibt er im Internet einen äußerst lesenswerten Blog unter dem Titel „Arabesken“, betreibt eine Facebook-Seite und ein Twitter-Account. Ach ja, Bücher schreibt er auch noch, das jüngste ist gerade im Entstehen, „Tage des Zorns“  soll es heißen. Wann Karim El-Gawhary das alles macht, ist mir rätselhaft, ihm übrigens auch – mindestens ebenso sehr wie den Concordia-Preis hätte er ja den Stachanow-Orden verdient.

Aber natürlich ist auch das ambivalent. Karim macht das alles mit großer Leidenschaft und außergewöhnlicher Begabung. Aber ganz freiwillig ist es natürlich auch nicht. Sondern es hat mit den prekären Arbeitsverhältnissen im heutigen Journalismus zu tun. Von der TAZ, für die er einst zu schreiben begonnen hat, könnte er längst nicht leben. Vor wenigen Monaten hat die TAZ-Zentrale den Auslandskorrespondenten ihre Pauschalen um bis zu achtzig Prozent gekürzt.

Der STANDARD hat auf die Mitarbeit von Karim El-Gawhary einst verzichtet, weil er die Berichte eines anderen Nahost-Korrespondenten gratis bekommen konnte.* Der ORF hat 2004 in Kairo ein Büro aufgemacht, aber es ist kein volles Korrespondenten-Büro wie in Washington oder Moskau oder Berlin. Sondern eben ein Journalist, der ohnehin hier lebt und gegen eine Mindestpauschale regelmäßig für den ORF berichtet.

In Zeiten wie diesen ist das für sogenannte „freie“ Korrespondenten gar nicht übel – selbst jemand, der derart fleißig und fix ist wie Karim, kann derzeit bei weitem nicht alle Aufträge annehmen, die er bekommt. Seit Jänner könnte er pausenlos auf Sendung sein, nicht nur im ORF, sondern auch in der ARD, bei NTV, N24, im Schweizer Fernsehen, bei zig Radiostationen undundund…

Weil wenn was los ist, dann flippen wir in den Zentralredaktionen ja aus. Dann braucht es in jeder ZiB von neun Uhr früh bis Mitternacht und in jeder Sondersendung eine Live-Schaltung, dazwischen möglichst noch fast jede Stunde im Radio. Und wenn’s geht, immer direkt von der Front.

Wie der Mann überhaupt zur Front kommen soll, wenn er alle drei Stunden bei einem feed point für seine Live-Schaltung stehen soll, darüber wird manchmal ziemlich wenig nachgedacht. Und wann er noch recherchieren soll, was er in Dutzenden Live-Schaltungen erzählt, auch nicht. Aber wenn grad nicht jede Woche eine andere Diktatur in die Luft fliegt oder der meistgesuchte Mann der Welt erschossen wird, dann ist es schon schwieriger. Die Hintergrund-Geschichte aus Syrien oder die Analyse aus Algerien waren noch vor einem halben Jahr kaum wo unterzubringen, auch in der ZiB2 nur schwer. Nahost-Berichterstattung heißt seit langem vor allem Kriege, Terroranschläge und neuerdings – glücklicherweise – eben auch Revolutionen…

Karim El-Gawhary hat darauf mit einer ganz eigenen Strategie reagiert. Er macht sich von Medienunternehmen weniger abhängig, indem er selber zum Medienunternehmer wird. Nicht das Medium, für das er arbeitet, als Marke sondern Karim El-Gawhary als Marke. Als Marke für seriöse Nahost-Berichterstattung. „Karim El-Gawhary schreibt, filmt und sammelt Töne rund um die arabische Welt“, steht auf seinem Blog. Und genau das tut er. Und er spielt das, was er da sammelt, über jeden denkbaren Kanal aus.

Damit erreicht er auch Menschen, die vielleicht nicht DIE PRESSE lesen oder ZiB schauen, vor allem auch Jüngere. Alleine das ist schon verdienstvoll. Aber er macht sich damit auch unabhängiger von seinen Auftraggebern und ihrer Sparwut. Man könnte auch sagen – er macht sich damit freier. Schon alleine deswegen ist es nicht unpassend, dass Karim El-Gawhary heute einen Preis für Pressefreiheit bekommt – er hat sich auch seine ganz persönliche Pressefreiheit erkämpft.
Herzlichen Glückwunsch!


* Nachtrag: STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid legt Wert darauf, dass die Zusammenarbeit mit Karim El-Gawhary nicht aus Einsparungsgründen beendet wurde, sondern weil damals eine andere langjährige STANDARD-Mitarbeiterin nach Kairo übersiedelte und dort weiter beschäftigt wurde.

 

 

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