Mister Courage

Gestern wurde mein Freund und Kollege Dieter Bornemann mit dem renommierten Concordia-Preis für Pressefreiheit geehrt, für sein langjähriges Engagement als Vorsitzender des ORF-Redakteursrats. (Gemeinsam mit ihm wurden Robert Treichler, Emran Feroz und Sayed Jalal Shajjan vom PROFIL mit dem Concordia-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.)

Die Unabhängigkeit des ORF ist ja in der Verfassung verankert und die Unabhängigkeit seiner Journalist·innen im ORF-Gesetz (§ 4/6) und in einem eigenen Redakteursstatut festgeschrieben. Weil der ORF im öffentlichen Diskurs aber eine derart wichtige Rolle spielt, gibt es auch immer wieder Versuche, seine Berichterstattung zu beeinflussen. Es ist die wichtigste Aufgabe der Redakteursvertretung, diese Versuche abzuwehren und die journalistische Freiheit der ORF-Mitarbeiter·innen zu verteidigen. Dieter Bornemann tut das auf eine geradezu exemplarische Weise – er könnte kein besserer Redakteursvertreter sein.

Full disclosure: Man könnte mir hier einen gewissen Bias vorwerfen, weil Dieter und ich seit 33 Jahren sehr eng befreundet sind, aber ich fände seine Arbeit als Redakteurssprecher auch großartig, würde ich ihn persönlich gar nicht mögen. Er macht das einfach sehr gut. Aber er ist auch noch ein besonders sympathischer Mensch.

Bei der Verleihung der Concordia-Preise im Parlament am Montag Abend durfte ich eine Laudatio halten. Sie ist hier ebenso nachzulesen wie danach die – viel wichtigere und gehaltvollere – Dankesrede des Preisträgers, die man in der Eingangshalle des ORF in die Wand gravieren und allen Stiftungsräten und Medienpolitiker·innen des Landes zuschicken sollte.

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Sir Robert

Es ist unfassbar, wie schnell die Zeit vergeht. Morgen jährt sich schon zum 20. Mal der Todestag unseres Kollegen Robert Hochner, der die ZiB2 geprägt hat wie niemand sonst. Am 12. Juni 2001 ist er gestorben, an einer tückischen Krebserkrankung, gut zwei Monate vor seinem 56. Geburtstag und knapp ein Jahr nach seiner letzten Sendung.

Fünfeinhalb Jahre lang durfte ich mit Robert arbeiten, als ZiB2-Reporter und als Chef vom Dienst, also jener Redakteur, der für die „Abwicklung“ der Live-Sendung zuständig ist. Und in den letzten Jahren seines viel zu kurzen Lebens durfte ich mit ihm auch privat befreundet sein.

Robert Hochner war ein exzellenter Journalist, aber als Fernsehmoderator war er ein absolutes Ausnahmetalent. DIE ZEIT hat ihn 1996 den „souveränsten TV-Moderator im deutschsprachigen Raum“ genannt und dieses Urteil stimmt auch 25 Jahre später noch. Der Rückblick, den Raimund Löw für die ZiB2 am Tag von Roberts Tod gestaltet hat, gibt einen Eindruck davon:

Hochner im Studio mit Link

Was Robert so ausgezeichnet hat, war eine ganz eigenwillige Kombination von Talenten und Eigenschaften: Er war beeindruckend klug, gebildet und informiert, stets blendend vorbereitet, hellwach, außergewöhnlich schlagfertig mit einem ganz eigenen subtil-ironischen, spitzbübischen Witz, couragiert, kritisch, gnadenlos präzise, sehr präsent, aber trotzdem immer britisch distanziert, elegant und ausnehmend charmant. Auch nach den frechsten Fragen konnte ihm keine·r böse sein.

Robert war radikal unabhängig, mit niemandem verhabert, mit keinem Politiker per du, stets skeptisch und „Leute mit Sendungsbewusstsein“ gehörten für ihn „in die Sendetechnik“. Aber er war ein zutiefst politischer Mensch. Ein Citoyen im Fernsehstudio.

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Der Erzähler

Jetzt hat er sich also zum ersten Mal geäußert und das auch gleich sehr ausführlich – Claas Relotius, der vor zweieinhalb Jahren den größten deutschen Medienskandal seit den gefälschten „Hitler-Tagebüchern“ im STERN ausgelöst hat. Der gefeierte SPIEGEL-Jungstar hatte über Jahre hinweg seine vielfach preisgekrönten Reportagen großteils erfunden. Und nicht nur diese, sondern offenbar auch nahezu alles andere, das er je veröffentlicht hat, wie er jetzt dem Schweizer Magazin REPORTAGEN in seinem ersten Interview seit dem Skandal erzählt:

Insgesamt haben Sie 120 Texte verfasst, grössere und kleinere. Wie viele davon waren journalistisch korrekt?
Nach allem, was ich heute über mich weiss, wahrscheinlich die allerwenigsten. Bei einigen Texten kann ich es einfach nicht sicher sagen.

Auf insgesamt neunzig Fragen erklärt Relotius, warum er gefälscht, erfunden und gelogen hat. Letztlich gibt er aber immer wieder die gleiche Antwort: Er hätte seit seiner Jugend an psychotischen Zuständen gelitten, an Wahnvorstellungen und zeitweise völligem Realitätsverlust – und sein einziger Ausweg sei das Schreiben gewesen:

Es hat mir geholfen, Zustände, in denen ich den Bezug zur Realität verloren habe, zu bewältigen, zu kontrollieren und von mir fernzuhalten. Schon lange vor dem Journalismus. Ich habe diesen Beruf auf eine Art von Anfang an missbraucht. … Ich kann das nicht erklären, aber ich hatte jahrelang nie Angst, nie Zweifel, auch nie ein schlechtes Gewissen.

Auch wenn der 35jährige an mehreren Stellen im Interview in verschiedenen Worten eingesteht:

Es gibt keine notwendige Verbindung zwischen einer psychischen Störung und dem Schreiben der Unwahrheit in einem Nachrichtenmagazin. Viele Menschen haben seelische Probleme. Man muss deswegen keinen Medienskandal verursachen. … Ich hatte beim Schreiben nie niederträchtige Absichten, und ich wollte auch niemanden verletzen, indem ich etwas Falsches schreibe. Dass ich das getan habe, bereue ich am meisten.

Und trotzdem ist dieses Interview mindestens so enttäuschend wie es lang ist. Aber das war wohl auch zu erwarten.

Claas Relotius ist – oder war zumindest – ein professioneller Lügner.

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