Aktenzeichen X

Ich habe X jetzt angezeigt.

Ich weigere mich einfach, zu akzeptieren, dass X (vormals Twitter), eine der größten und einflussreichsten Social-Media-Plattformen der Welt, einschlägige Gesetze in Österreich und der EU nicht nur ignoriert, sondern ganz offen verhöhnt und sich der Justiz entzieht.

Die Vorgeschichte, die ich hier ausführlich erzählt habe, nochmal ganz kurz: Ein durchgeknallter Troll hat auf X jahrelang unter falschen Namen einen Account betrieben, auf dem er Tag für Tag Dutzende klagsfähige Postings veröffentlichte. Praktisch jedes Tweet war eine Beleidigung, Verleumung, üble Nachrede oder Kreditschädigung. Einige davon betrafen auch mich.

Jedes einzelne Posting verstieß auch gegen die X-internen Richtlinien. Trotzdem weigerte sich die Plattform auch nach mehrfacher Aufforderung, die Postings zu löschen. Einen Antrag des Straflandesgericht Wien, die Nutzerdaten des Trolls herauszugeben, um ihn (als medienrechtlich Verantwortlichen) klagen zu können, ignorierte das Unternehmen.

X verlangte ein offizielles Rechtshilfeansuchen an die Republik Irland (wo die europäische Firmenzentrale sitzt), das dann aber mit der bizarren Begründung abgelehnt wurde, die Nutzerdaten würden nicht innerhalb der EU gespeichert. Wir mögen uns an die US-Justiz wenden. Aber auch dort wurde ein Rechtshilfeansuchen abgelehnt. Begründung: man wäre leider überlastet und die Straftat nicht schwer genug.

Bliebe die Möglichkeit, nicht den Verfasser der Hass-Postings zu klagen, sondern X. Die Plattform ist zwar absurderweise nicht für die Postings verantwortlich, die sie veröffentlicht, wohl aber für jene, die sie trotz Aufforderung nicht löscht.

Meine Lust auf das Prozess- und Kostenrisiko gegen einen Milliardenkonzern mit riesiger Rechtsabteilung und einer Advokaten-Armee ist allerdings endenwollend. Und damit wäre die Sache (die bis dahin der großartige Dornbirner Rechtsanwalt Philipp Längle durchgefochten hatte), an dieser Stelle leider zu Ende gewesen. Was doch einigermaßen frustierend war.

Das sah auch Längles Wiener Kollegin Maria Windhager so – und möchte doch noch weitere rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen.

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Warum feiern wir am 26. Oktober Nationalfeiertag?

„Weil da 1955 die letzten (russischen) Besatzungssoldaten Österreich verlassen haben“, haben viele von uns in der Schule gelernt. Das ist aber falsch.

Tatsächlich wurde am 26. Oktober 1955 im Nationalrat die „immerwährende Neutralität“ Österreichs beschlossen. Zehn Jahre später wurde dieser Tag dann zum Nationalfeiertag erklärt (die ersten zwei Jahre übrigens noch ohne arbeitsfrei zu sein).

Das war damals nicht ganz unumstritten und ist auch recht ungewöhnlich. Normalerweise wird mit einem Nationalfeiertag ja die Unabhängigkeit eines Staates gefeiert – dementsprechend wurden auch lange der 12. November (Ausrufung der Republik 1918), der 27. April (Unabhängigkeitserklärung 1945) und der 15. Mai (Staatsvertrag 1955) als Feiertage diskutiert.

Letztlich wurde es aber doch der 26. Oktober, der bis dahin in den Schulen als „Tag der Fahne“ begangen worden war. Der Beschluss des Neutralitätsgesetzes sollte als „erste feierliche Äußerung des Unabhängigkeitswillens der Republik Österreich nach Wiedererlangung ihrer vollen Souveränität“ gefeiert werden.

Die Bezeichnung „Nationalfeiertag“ wurde aber noch diskutiert. Die FPÖ hätte einen „Staatsfeiertag“ (wie am 1. Mai) bevorzugt, sie bestritt damals noch ausdrücklich die Existenz einer eigenständigen „österreichischen Nation“, setzte sich aber nicht durch.

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Anton Pelinka 1941-2025

Wenige Menschen haben mich in meinem Berufsleben so sehr beeinflusst wie Anton Pelinka. Er war der Grund dafür, dass ich doch nicht Lehrer wurde, sondern Politikwissenschaft inskribierte. In seinen Lehrveranstaltungen habe ich erstmals verstanden, was Politik ist, wie sie funktioniert und wie man sie analysiert.

Als Reporter und später als Moderator habe ich Pelinka unzählige Male im Radio und im Fernsehen interviewt. Bis zuletzt faszinierte mich seine Fähigkeit, komplexe Fragen für jede·n verständlich und immer interessant zu beantworten, ohne dabei zu simplifizieren. Seine eigene Vergangenheit als – hoch talentierter – Journalist war dafür sicher kein Nachteil. Die Idee, Wissenschaft nur für andere Wissenschafter·innen zu betreiben, war ihm nicht nur fremd, sondern erschien ihm völlig absurd.

Jahrzehntelang war Anton Pelinka vermutlich der erste Name, der den allermeisten Menschen in Österreich eingefallen wäre, hätte man sie nach einem Politologen gefragt. Er hat die Disziplin – und über viele Jahre auch die öffentliche Debatte über die Politik im Land – geprägt wie niemand sonst.

Anlässlich seines Todes hat mich DIE ZEIT eingeladen, einen Nachruf auf Pelinka zu schreiben. Mit Erlaubnis der Redaktion veröffentliche ich ihn auch hier.


Niemand hat Österreich besser erklärt

Es muss im März 1985 gewesen sein, als ich den Hörsaal an der Innsbrucker Uni betrat. Am „Tag der offenen Tür“ präsentierten sich die Studienrichtungen den angehenden Maturanten und Maturantinnen. Den Professor, den ich mir anhören wollte, kannte ich aus dem Fernsehen.

In meinem Elternhaus – der Vater Hausmeister, die Mutter Kassiererin im Supermarkt, beide Mitglieder der kleinen ÖVP-Ortsgruppe Innsbruck Olympisches Dorf – galt er als einer der zwei klügsten Menschen in Österreich, auch wenn beide politisch verdächtig waren.

Professor Anton Pelinka und DDr. Günther Nenningmoderierten damals regelmäßig den „Club 2“, eine TV-Gesprächsrunde, die man sich in ihrer Unberechenbarkeit heute kaum mehr vorstellen kann.

Der linke „Doktordoktor“ mit den buschigen Augenbrauen und dem schelmischen „gell?“ am Ende jedes zweiten Satzes war eine Art intellektueller Hallodri. Der eloquente Professor war nüchterner, vermutlich auch kein ÖVPler, aber beeindruckend gescheit, immer ruhig und souverän. Vor allem konnte er fantastisch erklären. Was er sagte, klang stets besonders klug und trotzdem war es immer verständlich.

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