Baum

Wer am Watschenbaum rüttelt…

… darf sich nicht wundern, wenn die Watschen auch runterfallen. Und gestern Abend habe ich – durchaus bewusst – recht fest am Watschenbaum gerüttelt.

Nach meinem Interview mit Oscar Bronner, das ich gestern verlinkt hatte, habe ich mir die Postings dazu auf standard.at angeschaut. Dort ging es interessanterweise nahezu ausschließlich um die angebliche „Bilderberger“-Weltverschwörung (und ein wenig darum, wie sehr ich im Interview wiedermal auf die Poster hinhacken würde).

Also schrieb ich gestern Abend auf meine Twitter-Seite: „Es ist wirklich beachtlich, wieviele Verschwörungs-Paranoiker sich im Standard-Forum tummeln. Was die wohl alle im echten Leben machen?“ Und: „Ich werde nie verstehen, warum man als Posting jeden Unsinn veröffentlicht, der es aus gutem Grund nie in die ‚Leserbriefe’ schaffen würde.“

Aufruhr im STANDARD-Forum

Dass das im Standard-Forum nicht gut ankam, ist ja nun wirklich nicht überraschend. Seither dreht sich jedenfalls ein Großteil der dzt. gut 900 Postings unter dem Interview um meine unerträgliche Arroganz, Ignoranz und meinen Wunsch nach Zensur.

Auf Twitter wiederum rückte die halbe standard.at-Mann- und Frauschaft aus, um ihre Posting-Community zu verteidigen und mir seit gestern Abend in Dutzenden Tweets zu erklären, wie großartig die Foren auf standard.at denn seien.

Nun mag ich Twitter wirklich sehr, aber in 140 Zeichen lässt sich manches nicht ausreichend argumentieren. Und da meine FB-Seite für mich auch eine Art Blog ist, hier etwas ausführlicher, was ich meine:

Die Debatte über die Foren auf standard.at ist vor ein paar Wochen wieder aufgeflammt – ausgelöst von einem bösen „Kommentar der anderen“ der Schriftstellerin Julya Rabinowich über die „Hetze und Bösartigkeit“ der anonymen Poster. Ihr Wutausbruch war insofern interessant, als sie gestand, selbst jahrelang unter einem Pseudonym (und besonders übel) mitgepostet zu haben.

Ich fand in dem Kommentar (den ich leider online nicht mehr finden kann), v.a. einen Satz interessant: „Wer für sein Forum nicht garantieren kann, sollte es sperren“. Damit habe ich Bronner auch im Interview konfrontiert.

Tatsächlich wundere auch ich mich seit langem, wie viele persönliche Beleidigungen, Attacken und schlichte Bösartigkeiten ich v.a. in den Foren der exzellenten Standard-Medienseite etat.at lese.

(Exkurs: Ich lese nur selten Online-Foren anderer Tageszeitungen und erschrecke jedes Mal, dass es auch noch viel, viel tiefer geht als auf standard.at. Gegen die Foren der „Krone“, der „Presse“ oder der „Kleinen“ ist jenes des Standard meist ein gehobener Literatur-Salon.)

Klarnamen sind nicht die Lösung

Bis vor kurzem dachte ich, dass das vor allem mit der Anonymität der Poster zusammenhängt, unter deren Schutz manche einfach hinausrotzen, was ihnen lustig ist. Ich habe jedoch in Diskussionen der letzten Wochen gelernt, dass Klarnamen das Problem wohl nicht lösen würden – v.a. von Falter-Redakteurin Ingrid Brodnig, die gerade ein Buch zum Thema schreibt, und von Blogger Helge Fahrnberger (s.u.).

So waren z.B. in Südkorea Klarnamen in Online-Medien eine Zeitlang verpflichtend – an der Debatten(un)kultur hat sich dadurch aber nichts geändert. Und etliche Facebook-Seiten zeigen, dass man sich auch unter seinem richtigen Namen aufführen kann, wie ein sturzbetrunkener Wirtshaus-Randalierer.

Dazu kommt, dass es nicht nur in Diktaturen Menschen gibt, denen manche – sehr legitime – öffentliche Äußerung ungerechtfertigte Nachteile bringen kann. Da muss es gar nicht um Firmeninsider gehen, die in Foren Missstände anprangern (die sehe ich da auch kaum bis nie).

Aber man kann sich schon vorstellen, dass es z.B. Landesverwaltungen gibt, die auf politische Kritik von Landesbediensteten in Foren nicht mit übermäßig Lob und rascher Beförderung reagieren würden.

Ich habe mich also überzeugen lassen, dass die Klarnamen-Forderung am Thema vorbeigeht, auch wenn ich persönliche Beleidigungen und ad hominem-Attacken unter Pseudonym nach wie vor schäbig und feige finde.

Ein Posting nicht online zu stellen, ist noch keine Zensur

Trotzdem halte ich es für unsäglich, wenn auf den Websites von „Qualitätsmedien“ jeder einfach rumgröhlen, Gerüchte in Umlauf bringen oder andere Menschen verunglimpfen kann. Niemand würde das auf der Leserbrief-Seite einer anständigen Tageszeitung zulassen. Ein Großteil der Postings würde dort nie veröffentlicht werden – und das nicht nur aus Platzmangel, sondern aus inhaltlichen Gründen. Ich meine aber, dass eine Redaktion für die Postings auf ihrer Website ähnlich Verantwortung trägt wie für ihre Leserbrief-Seite.

Und natürlich ist es genau so wenig „Zensur“ ein Posting nicht zu veröffentlichen, wie es Zensur ist, einen Leserbrief nicht zu drucken. Niemand hat ein naturgegebenes Anrecht darauf, in einer Zeitung abgedruckt zu werden – das entscheidet eine Redaktion.

Das heißt ja nicht, dass jemand seine Meinung nicht sagen darf. Jeder kann auf seiner FB-Seite, auf Twitter, auf einem Blog veröffentlichen, was immer ihm lustig ist (solange es im Rahmen der Gesetze bleibt).

Aber warum sollte ein „Qualitätsmedium“ für jeden Un-, Flach- oder Quersinn das Publikum seiner Website zur Verfügung stellen?

Nun werden die standard.at-Foren natürlich moderiert – automatisch von einer Software und manuell von RedakteurInnen. Als jemand, der standard.at seit dem ersten Tag liest, finde ich allerdings, es wird zu großzügig moderiert. Es erscheinen Postings – und nicht wenige –, die m.E. in einem Qualitätsmedium schlicht nichts verloren haben.

Wie kommen Foren zu einer besseren Debattenkultur?

Dass die Autoren der Postings das anders sehen, wundert mich nicht. Dass die Menschen, die die angeblich 20.000 täglichen Postings auf standard.at betreuen, ihre Moderationspraxis verteidigen, verstehe ich auch. Trotzdem bin ich ziemlich sicher, dass es auch anders ginge.

Schon vor einiger Zeit hat Helge Fahrnberger auf seinem Blog ein paar Vorschläge dazu gemacht – und auf das Buch von von Ingrid Brodnig zum Thema bin ich sehr gespannt.

Einen Vorwurf in der Diskussion seit gestern fand ich allerdings besonders absurd: Ich sei halt ein elitärer One to many-„Alphajournalist“, der es nicht aushalte, nicht mehr das „Meinungsmonopol“ zu haben und der weder Kritik aushalte noch sich für Dialog interessiere.

Zum einen ist allein die Idee eines Meinungsmonopols im digitalen Zeitalter derart abstrus, dass ich nicht verstehe, wie man das, ohne zu lachen, überhaupt tippen kann. Und zum anderen wäre ich weder auf Facebook noch auf Twitter, würde ich mich nicht dafür interessieren, was Sie denken.