Wie sehr müssen wir uns vor Terror fürchten?

Am Montag dieser Woche hat FPÖ-Obmann Strache auf einer FB-Seite sehr empört ein Video gepostet – von Muslimen, die angeblich über die Anschläge von Paris jubeln würden. Wie sich schnell herausstellte, war das Video von 2009. Es waren feiernde Fans nach einem Cricket-Match in Pakistan, mit Terror oder Paris hatte es rein gar nichts zu tun. Auf der Strache-FB-Seite wurde das Video irgendwann kommentarlos wieder gelöscht.

Heute postet Herr Strache unter dem höflichen Titel „Zitate aus der Irrenanstalt“ sehr empört, der „ORF-Wolf“ – gemeint bin offenbar ich – hätte „Unfälle mit gezielten Morden“ verglichen. Seine FB-Seite hat ca. 280.000 Fans und bis jetzt hat mir sein Posting einige Dutzend Nachrichten von Strache-Fans eingebracht, in denen „charakterloses Arschloch“ zu den freundlicheren gehört und „Warte nur, bis ich dich im Straßenverkehr treffe“ zu den unfreundlicheren.

Was ist tatsächlich passiert?

Am Dienstag, nach dem abgesagten Deutschland-Länderspiel, war Bernhard Treibenreif, Chef der Spezialeinheiten im Innenministerium, zu Gast in der ZiB2. Nach den aktuellen Fragen zur Terrorwarnung in Hannover, zur aktuellen Bedrohungslage in Österreich und dazu, wie man Großveranstaltungen überhaupt schützen kann, habe ich Treibenreif gefragt, was man Menschen sagen kann, die jetzt Angst haben in ein Fussballstadion oder zu einem Konzert zu gehen.

Seine Antwort: „Wir sollen uns nicht unsere Freiheit wegnehmen lassen. Die Polizei hier in Österreich, aber auch europaweit, unternimmt alles, um eben weitere Anschläge zu verhindern, wobei wir sagen auch ganz deutlich: Man kann nicht alles verhindern. Uns aber an sich das Leben so einschränken zu lassen, dass man sich nicht mehr aus dem Haus traut, dem kann ich nicht zustimmen und ich bin schon auch der Ansicht, dass wir Mut zeigen sollten.“

Darauf habe ich gesagt: „Man muss auch dazusagen: Es kommen noch immer sehr, sehr viel mehr Menschen bei Autounfällen ums Leben in Europa als bei Terroranschlägen. Und auch in Hannover wurde bis jetzt nichts gefunden, also es gibt bis jetzt keinen Hinweis, dass die Bedrohung heute überhaupt real war.“

Natürlich hat (wie jeder unten nachsehen kann) niemand Terroranschläge moralisch mit Verkehrsunfällen verglichen, alleine die Idee ist ja völlig absurd – sondern um die Frage: Wie groß ist die reale Gefahr? Ist sie so groß, dass wir genau das tun sollten, was die Terroristen ja erreichen wollen: nämlich dass wir in Panik geraten, uns im Alltag verunsichern lassen und unsere Art zu leben ändern?

Wie groß ist die Gefahr wirklich?

Jeder Mensch mit halbwegs intaktem Gewissen muss entsetzt und verstört sein, dass es eine Mörderbande gibt, die zu Verbrechen wie in Paris in der Lage ist. Und dass diese Attentate so scheinbar „ziellos“ waren – vor dem Stadion, in Cafes, im Konzertsaal – löst eine besondere Verunsicherung aus.

Das Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo im Jänner war nicht weniger schrecklich und grausam. Aber das haben vielleicht manche noch mit Gedanken rationalisiert wie: „Ich zeichne ja keine Karikaturen über Mohammed oder den Islam, warum sollte ich in Gefahr sein?“ Und sich damit beruhigt.

Aber sehr viele von uns waren schon in Paris, jeder war schon im Cafe, im Fußballstadion und im Konzert. Und sehr viele haben jetzt das Gefühl: „Das hätte auch mich treffen können“.

Das macht, denke ich, neben dem natürlichen Mitgefühl für die vielen Opfer von Paris und ihre Angehörigen einen Teil unseres Schocks und der Verunsicherung aus.

Genau deswegen waren die Attentate ja nicht „ziellos“. Sie haben, im Gegenteil, sehr bewusst und heimtückisch auf unsere Lebensweise und unseren Alltag gezielt – um maximale Verunsicherung auszulösen. Um unseren Alltag zu (zer)stören. Und genau in diese Falle sollten wir nicht tappen.

Nach den Anschlägen von 9/11 wollten in den USA viele Menschen in kein Flugzeug mehr steigen – aus Angst vor weiteren Attentaten. Es gab keine mehr, aber Millionen Menschen sind, statt zu fliegen, sehr weite Strecken mit dem Auto gefahren. In den zwölf Monaten nach 9/11 sind im US-Straßenverkehr um 1.600 Menschen mehr gestorben als im langjährigen Durchschnitt.

Die vielen Verkehrstoten nach 9/11

Unsere Ängste sind oft absolut verständlich – aber oft auch irrational. Obwohl sie sehr viel unwahrscheinlicher sind, fürchten wir uns vor dramatischen Einzelereignissen mehr als vor Alltagsgefahren.

In Österreich sterben jedes Jahr an die 500 Menschen im Straßenverkehr, tausende werden verletzt. Trotzdem fürchten wir uns – vernünftigerweise – nicht jeden Tag, wenn wir in der Früh auf die Straße gehen. Und wir überlegen auch nicht, wegen des Risikos zuhause zu bleiben. Trotz der schrecklichen Meldungen der letzten Monate und Tage ist die Gefahr, in einen Terroranschlag zu geraten, noch immer verschwindend gering. Glücklicherweise.

Diese fürchterliche Mördersekte muss bekämpft und besiegt werden. Und wir sollten ihr nicht den Triumph gönnen, dass wir uns im Alltag fürchten und ihretwegen unser Leben verändern. Solange Veranstaltungen nicht von Sicherheitsbehörden abgesagt werden – gehen Sie weiter ins Cafe, ins Konzert und ins Stadion. Und auf die Straße. Lassen wir uns nicht verrückt machen. Sonst liefern wir irgendwann wirklich Zitate aus der Irrenanstalt.