Deckblatt des Germania-Liederbuchs

„Deutsch und treu in Not und Tod“ – Echt jetzt?

Gestern hatte ich den nö. FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer zu Gast in der ZiB2 – hier ein Transkript des elf Minuten langen Interviews.

Dabei ging es ausführlich um das Liederbuch seiner schlagenden Burschenschaft „Germania“, dessen erste Seite unten zu sehen ist. Die Diskussion um die NS- und Neonazi-Texte in dem Buch läuft ja ohnehin seit Tagen – aber jenseits dieser „zutiefst verabscheuungswürdigen“ (A. Van der Bellen) Lieder interessiert mich persönlich noch eine allgemeinere Frage:

Warum ist im Jahr 2018 ein erwachsener Österreicher Mitglied in einem Männerverein mit dem Wahlspruch „Deutsch und treu in Not und Tod“?

Das ist keineswegs verboten, schlagende Burschenschaften sind in Österreich wie in Deutschland legale Vereine, aber es interessiert mich wirklich, warum es jungen Österreichern, die in einem blühenden Land aufgewachsen sind, ein derartiges Anliegen ist, sich als Deutsche zu verstehen und „Deutschland, Deutschland über alles“ zu singen (das „Deutschland-Lied“ mit allen drei Strophen ist eines der „offiziellen Lieder“ im „Germania“-Buch).

Deckblatt im Liedbuch der „Germania Wiener Neustadt“

 

Das seltsame Ritual des Fechtens („Mensur“), bei dem man sich als Mutprobe einen Schmiss im Gesicht holt, ist mir auch ein Rätsel, aber Menschen haben ja die absonderlichsten Hobbies. Doch worin besteht die Faszination des „Deutschtums“, hundert Jahre nach der Ausrufung der Republik Österreich? Und erst recht acht Jahrzehnte nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland. Man würde meinen, spätestens die nachfolgenden sieben Jahre könnten Deutschnationale in Österreich nachhaltig irritiert haben.

0,05 Prozent der Bevölkerung, 10 Prozent des Nationalrats

Und trotzdem gibt es in Österreich etwa hundert schlagende Burschenschaften für Mittelschüler und Studenten (alle ausschließlich für Männer, dazu noch sechs nicht schlagende – also nicht fechtende – „Mädelschaften“) mit insgesamt schätzungsweise 4.000 Mitgliedern und dazu noch diverse Landsmannschaften und Sängerbünde. Nicht zu verwechseln übrigens mit katholischen Verbindungen (wie Mittelschülerkartellverband MKV und Cartellverband CV), die zwar i.d.R. konservativ und betont patriotisch aber nicht deutschnational sind und auch nicht fechten.

Interessanterweise sind diese 4.000 Burschenschafter politisch erheblich überrepräsentiert – von den 51 derzeitigen FPÖ-Abgeordneten stellen sie 18 (also 10% des Nationalrats für knapp 0,05% der Bevölkerung) und von den Mitgliedern des FPÖ-Bundesvorstandes mehr als die Hälfte, angefangen mit Parteiobmann Strache (Vandalia Wien).

Ihr Engagement begründen Burschenschafter gerne mit „Gemeinschaftssinn“ und „Traditionspflege“ – wie der Organisator des Burschenschafter-Balls und Chef des „Pennäler-Rings“ vor wenigen Tagen in einem lesenswerten Kurier-Interview.

Der Burschenschafter Theodor Herzl

Und gegen den Vorwurf der Deutschtümelei und des Antisemitismus kommen regelmäßig die gleichen zwei Argumente: Dass auch Theodor Herzl Mitglied einer Burschenschaft gewesen sei und dass die Verbindungen in der NS-Zeit „verboten wurden“.

Allerdings: Theodor Herzl ist  1883 – aus Protest gegen ihren Antisemitismus – aus seiner Burschenschaft ausgetreten und 1904 gestorben. Spätestens nach den sogenannten Eisenacher und Dresdner Beschlüssen von 1920 und 21 hätte er auch gar nicht mehr beitreten können – damals wurde nämlich beschlossen nur „deutsche Studenten arischer Abstammung“ und keine Juden oder Ausländer aufzunehmen (die meisten österreichischen Burschenschaften hatten solche „Arier-Paragrafen“ schon Jahrzehnte früher – mehr dazu in diesem ausgezeichneten Text.)

Und nach dem „Anschluss“ 1938 lösten sich die österreichischen Burschenschaften mit einer Feier im Wiener Konzerthaus selbst auf – um dann zum Großteil als „Kameradschaften“ in den NS-Studentenbund übernommen zu werden. Rund 80 Prozent der österreichischen Burschenschafter waren Mitglieder der NSDAP, wie sich beim Historiker Michael Gehler nachlesen lässt, ein weit höherer Prozentsatz als bei ihren deutschen Kameraden.

Wen das Thema genauer interessiert:

Der Historiker Bernhard Weidinger, hat seine exzellente Dissertation über Burschenschaften in Österreich geschrieben und das 643-seitige Standardwerk von 2015 netterweise im Volltext und kostenfrei online gestellt.

Und Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des ö. Widerstandes hat 2014 ein sehr dichtes 73-Seiten-Papier v.a. zu den antisemitischen Traditionen der österreichischen Burschenschaften veröffentlicht.

PS: Das Dokumentationsarchiv wird von Burschenschaftern gerne als „privater Verein“ abgetan ( der „nicht-korporierte“ Innenminister Kickl nannte das DÖW 2016 sogar den „unnötigsten aller Vereine“). Nur zur Einordnung: das Dokumentationsarchiv wird in Form einer Stiftung ganz wesentlich von der Republik Österreich und der Stadt Wien getragen und finanziert und gilt seit Jahrzehnten als Österreichs wichtigste Forschungsstelle zum Thema Rechtsextremismus.