Tafel mit Mathe-Formel

Was läuft im Mathe-Unterricht falsch?

Ich bin recht häufig in Schulen eingeladen, immer in den obersten Klassen vor der Matura. Und ich frage dort oft: Wer von euch hatte schon mal Nachhilfe? In der Regel sind es gute zwei Drittel. Und fast alle im gleichen Fach: Mathematik.

Irgendwas läuft falsch im Mathe-Unterricht – und ich glaube, es liegt nicht primär an der Zentralmatura (um die es in diesem Kommentar heute im STANDARD geht), denn das war mit der alten Matura auch schon ganz ähnlich.

Wenn in fast jeder Schule in einem einzigen Fach mehr als die Häfte der Schüler externe Nachhilfe braucht, gibt es ein grundsätzliches Problem (mal abgesehen von der sozialen Ungerechtigkeit, weil Nachhilfe wirklich teuer ist).

Dabei bin ich keiner von denen, die stolz darauf sind, dass sie in Mathe schlecht waren und keine Ahnung davon haben. Mir ist in der Schule Mathematik immer leicht gefallen und auf meine Matura-Arbeit an der HAK im Jahr 1985 (siehe Foto) hatte ich ein problemloses Sehr gut.

Maturaaufgaben HAK Innsbruck 1985

Heute könnte ich von den Aufgaben bis auf die Rentenrechnung keine mehr lösen. Und bis auf Statistik habe ich von meinem Oberstufen-Stoff auch für drei Studienabschlüsse nichts mehr wirklich gebraucht.

Trotzdem halte ich Mathe-Unterricht für extrem sinnvoll und elementar wichtig. Was mich aber immer wieder verblüfft: Dass es unser Schulsystem schafft, zahllose Jugendliche für die Matura zu dressieren, die aber drei Jahre später keine etwas anspruchsvollere Schlussrechnung mehr lösen können oder auf einen Blick erkennen, dass eine Zahlenangabe völlig unrealistisch ist.

Wäre es nicht sehr viel sinnvoller, wir könnten sicherstellen, dass jeder, der die Schule verlässt, Alltagsaufgaben souverän rechnen kann, offensichtlichen unsinnige Zahlen erkennt, wirklich mit Prozent- und Rentenrechnungen vertraut ist (um Zinseszinsen auszurechnen) und mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik?

MUSS WIRKLICH JEDER IN MATHE MATURIEREN?

Wozu man einen maximal großen Kegel in ein Pyramide einschreiben können muss – oder so ähnlich? Ich weiß es bis heute nicht. Oder was waren nochmal „komplexe Zahlen“? Mir ist der Begriff seit der Schule nie wieder begegnet.

„Beachte: Das skalare Produkt zweier Vektoren ist kein Vektor, sondern eine reelle Zahl.“ Das steht im „Kompendium zur Maturavorbereitung“ eines aktuellen Mathe-Schulbuchs. Stimmt ganz sicher, aber wozu muss ein Maturant das nochmal unbedingt wissen? Und da rede ich jetzt noch nicht vom „Orthogonalitätskriterium“ (hat damit zu tun).

So wie ich auch nicht weiß, warum man in Österreich jedenfalls in Mathe maturieren muss. Würde das nicht als Voraussetzung ausreichen, wenn man Physik oder Technik oder ein anderes Mathe-lastiges Fach studieren will? So wie man von Jus-Studierenden oder Medizinern verlangt, dass sie ein Latinum vorweisen können oder von BWLern, dass sie Grundzüge von Rechnungswesen beherrschen.

Und wenn sie aus einer AHS kommen, müssen sie es eben nachlernen. Niemand käme auf die Idee, an allen Schulen eine Rechnungswesen-Matura zu verlangen, nur weil relativ viele 18jährige Wirtschaft studieren.

Ja, grundsätzlich lernt man mit Mathematik logisch und abstrakt zu denken. Das wäre auch wirklich wertvoll und sinnhaft. Es ist nur nicht meine Praxiserfahrung mit Jugendlichen. Sehr viele lernen v.a., dass ihnen Mathe Angst macht und versuchen, irgendwelche Formeln bis zur nächsten Schularbeit irgendwie auswendig zu lernen – oder eben bis zum Tag der Matura. Und wenige Wochen später ist alles weg.

WAS MAN WIRKLICH KÖNNEN SOLLTE 

Oder die vielen Kids, die unendliche, verhasste Stunden in ihr Angstfach Mathematik investieren, in denen sie stattdessen ihre wirklichen Interessen und Talente (Sprachen, Musik, Theater, Naturwissenschaften, Philosophie undundund…) fördern könnten.

Ich kenne erstaunlich viele Menschen, die der Mathematik-Unterricht so abgeschreckt hat, dass sie heute in der Sekunde nervös werden, wenn man ihnen eine ganz simple Rechenaufgabe stellt. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.

Die amerikanische Mathematikerin Marilyn Burns hat 2007 eine simple Anforderung an Mathematik-Unterricht formuliert (Danke für den Hinweis, Erich Neuwirth!):

Die Schüler sollen „mit Zahlen denken und Schlüsse daraus ziehen, mit Zahlen Probleme lösen, unvernünftige Antworten erkennen, verstehen, wie Zahlen auf verschiedene Weise auseinandergenommen und zusammengesetzt werden können, Verbindungen zwischen Vorgängen sehen, Muster erkennen und vernünftig schätzen können.“

Für die Lösung dieser Aufgabe sollte es die maximale Punkteanzahl geben.