Kurz-Pressekonferenz

Kurz-Schluss

Nun hat Sebastian Kurz seine Ankündigung also doch wahrgemacht, dass er nicht länger als zehn Jahre in der Politik bleiben werde. Nicht ganz freiwillig allerdings.

Auch wenn er heute von sich aus gegangen ist und nicht von seiner Partei zum Abtritt gezwungen wurde – klar war schon seit seinem Rücktritt als Kanzler, dass ein Comeback nicht wahrscheinlich ist. Das hätte nur eine rasche Einstellung beider Strafverfahren (Falsche Zeugenaussage und Inseraten-Affäre, es gilt die Unschuldsvermutung) ermöglicht und die war und ist nicht zu erwarten. Oder sehr rasche Neuwahlen, aber die will erstens niemand und sie wären zweitens auch für die ÖVP ein extremes Risiko.

Dass Kurz aber nicht langfristig Klubobmann im Nationalrat bleiben würde, war erwartbar. Parlamentarische Arbeit hat ihn nie interessiert, selbst für die wenigen Monate nach seiner Abwahl 2019 hat er sein Parlamentsmandat nicht angenommen.

Sebastian Kurz hat mit 24 – als jüngster Staatssekretär der Zweiten Republik – ein Regierungsamt übernommen (ja, ich weiß, dass Staatssekretär·innen formal keine Regierungsmitglieder sind), war mit 27 Außenminister, mit 31 Bundeskanzler, mit 32 zum ersten Mal Kanzler a.D., mit 33 wieder Kanzler und seit Oktober zum zweiten Mal Alt-Kanzler. Wenige Wochen davor wurde er 35.

Kein ÖVP-Obmann vor ihm hat die traditionsreiche Volkspartei so radikal verändert. Sein größtes politisches Hazardstück war jener Abend im Mai 2017, als der 30jährige Chef der Jungen ÖVP nach dem Rücktritt Reinhold Mitterlehners in den Parteivorstand marschierte, um den doppelt so alten Länder- und Bünde-Granden zu erklären: Ich mache euch den Job, wenn ihr mir die Partei überschreibt.

Kurz verlangte eine Generalvollmacht, die alleinige Entscheidung über alle Kandidat·innen auf Bundesebene, Regierungsmitglieder, Parteizentrale, Programm und Koalitionen. Und er bekam sie, festgeschrieben im Parteistatut. Weil er die mächtigen Mandarine der maroden Partei vor die Wahl gestellt hatte: Ihr könnt zu meinen Bedingungen mit mir in die Wahl gehen und ich hole euch das Kanzleramt zurück. Oder ihr sucht euch einen anderen Obmann und die ÖVP wird Dritter bei der Wahl.

Es war genau jener Einsatz, den Christian Kern in der SPÖ nicht gewagt hatte. Auch weil Kern wusste, dass damals Gerhard Zeiler vor der Tür wartete, als willige Alternative. In der ÖVP gab es keinen Gerhard Zeiler, nur den ebenso populären wie selbstbewussten Jungstar im Außenamt, dessen Team das „Projekt Ballhausplatz“ seit Monaten ausgeheckt hatte.

Eine eingeschworene Clique aus talentierten, disziplinierten politischen Handwerkern, die weniger eine Ideologie verband als ihre bedingungslose Loyalität zu Sebastian Kurz: Stratege Stefan Steiner, PR-Mann Gerald Fleischmann, Organisator Axel Melchior, Kampagnen-Mastermind Philipp Maderthaner, JVP-Weggefährte Gernot Blümel und als einzige Frau im innersten Zirkel Elisabeth Köstinger.

Das „System Kurz“ war in erster Linie eine beispiellos professionelle politische PR-Operation. Aus der trägen, intriganten, alten schwarzen ÖVP (deren Präsidentschaftskandidat 2016 mit schwindsüchtigen elf Prozent in der Vorrunde ausschied) wurde binnen weniger Wochen eine flotte, durchgestylte, türkise Bewegung mit Design-Handbuch für den Außenauftritt.

Und weil in der Politik nichts erfolgreicher macht als der Erfolg, war Sebastian Kurz nach seinem Wahltriumph 2017 praktisch allmächtiger Alleingeschäftsführer in der Partei.

Keine relevante Entscheidung fiel ohne Schleife über das Kurz-Büro, nie zuvor waren (formell chef-lose) Minister*innen derart machtlos. Sie durften weder ihre wichtigsten Mitarbeiter*innen selber auswählen, noch eigenständig politische Schwerpunkte setzen. Alles, was unter dem Logo „Neue Volkspartei“ passierte, wurde vom Kurz-Team entschieden. Inhaltlicher Widerstand: Nicht gewünscht, Abweichlerei wurde gern durch das Leaken unangenehmer Geschichten an Boulevardzeitungen sanktioniert.

Was das große inhaltliche Projekt hinter dem Durchmarsch durch die Institutionen gewesen wäre, das liegt allerdings bis heute im Dunkeln. Sebastian Kurz ist kein politischer Visionär. Policy ist weder seine Stärke, noch sein zentrales Interesse. Er ist ein außergewöhnlich begabter Politics-Politiker und ein begnadeter Kommunikator.

So wie er – ohne weitere Debatte – in eine Koalition mit den Freiheitlichen einsteigen konnte, regierte er zwei Jahre später diskussionslos mit den Grünen. (Nur seine offene Abneigung gegen die Sozialdemokratie begleitet ihn seit seiner Jugend.) Während Kurz als junger Integrations-Staatssekretär für mehr Willkommenskultur warb, konnte seine Migrationslinie nach dem Herbst 2015 gar nicht hart und abweisend genug sein.

Parteilinie war, was populär war. Haus-Demoskop Franz Sommer (den auch Branchen-Konkurrenten für brillant halten) hatte praktisch permanent mehrere Umfragen im Feld.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft empfinden Kurz und sein enges Umfeld als haarsträubende Ungerechtigkeit. In ihrer Welt haben sie nichts anderes getan, als vor ihnen jahrzehntelang andere Politiker, vornehmlich der SPÖ.

ÖBAG: Nur Naivlinge würden meinen, dass der Kanzler nicht über den wichtigsten staatlichen Management-Job entscheidet.

Der Streit über seine Aussagen im Ibiza-U-Ausschuss: Gehässige Wortklauberei.

Die PR-Lawine mithilfe freundlich gesinnter, mit Inseraten und Exklusiv-Stories gefütterten Boulevard-Medien: Von der SPÖ gelernt.

Die berüchtigte Message-Control: Schon mal von Viktor Klimas Spin-Doktoren gehört?

Das Kurz-Team fühlt sich tatsächlich von angeblich „roten“ Staatsanwält·innen und vermeintlich „linken“ Journalist·innen politisch verfolgt.

Ok, Thomas Schmid, der selbsternannte „Prätorianer“, hat es in seinem Ehrgeiz übertrieben (und dummerweise 300.000 Chatnachrichten gespeichert) – aber das wusste ja keiner.

Die ums Doppelte überzogenen Wahlkampf-Kosten 2017: Ein unangenehmes Malheur, weil die Bundesländer viel mehr ausgaben als angekündigt, was in der Zentrale aber niemand bemerkte.

Die gestückelten Parteispenden: Alles legal, wo ist das Problem?

Die Schredder-Affäre: Ein junger Mitarbeiter, der nur helfen wollte und dem hysterische Medien fast das Leben zerstört hätten.

Die peinlichen Chats: Wer hat noch nie privat wen ein Arschloch geheißen?

Und das mutmaßlich kriminelle Inseraten-Umfrage-„Tool“: Sorry, aber was genau hatte Sebastian Kurz mit Inseraten im Finanzministerium zu tun?

Dass Kurz 2019 nach Ibiza und der schmachvollen Abwahl im Parlament einen noch strahlenderen zweiten Wahlsieg einfuhr, hat sein Selbstvertrauen nicht geschmälert. Aber die Ermittlungen der Justiz mit immer neuen medialen Enthüllungen haben zuletzt merklich an seinen Nerven gezehrt. Dass ihn die Grünen tatsächlich stürzen würden, hatte er bis wenige Stunden vor seinem Abgang nicht für möglich gehalten. Noch am Tag davor wurden die ÖVP-Minister·innen zu schriftlichen Loyalitäts-Adressen genötigt.

Alexander Schallenberg wurde schließlich als Platzhalter ins Kanzleramt geschickt: Der super-loyale Diplomat ohne eigene Ambition auf das Amt, der nicht mal Kurz’ Kanzlerbüro bezog und zu jedem Zeitpunkt ohne jedes Aufsehen wieder ausziehen würde.

Doch in den letzten Wochen wurde klar, dass dieser Zeitpunkt so schnell nicht kommen würde. Und es mag gut sein, dass auch die Geburt seines ersten Kindes Sebastian Kurz nachdenklich gemacht hat. Der Mann ist 35 Jahre alt, war Außenminister und Regierungschef, ist weltweit bekannt und hat sich in Europa und in den USA ein beachtliches Netzwerk aufgebaut. Trotz der laufenden Ermittlungen muss man sich um seine nähere berufliche Zukunft keine Sorgen machen.

Die ÖVP hingegen steht wieder dort, wo sie an jenem Mai-Abend 2017 stand. Allerdings ohne Sebastian Kurz vor der Tür.