Inserat Publikumsrat Wiener Zeitung

Die Publikumsräte, die es nicht geben dürfte

Der ORF hat neben dem mächtigen Stiftungsrat noch ein zweites Aufsichtsgremium, den Publikumsrat, der laut ORF-Gesetz für die „Wahrung der Interessen der Hörer und Seher“ zuständig ist. Dem Publikumsrat gehören dreißig Personen an, 17 davon kann Medienministerin Susanne Raab nahezu freihändig auswählen und das hat sie letzte Woche getan: die Mehrheit davon allerdings gegen die Vorschriften des ORF-Gesetzes – sagt einer der renommiertesten Rundfunkjuristen im Land.

Hans Peter Lehofer ist Richter am Verwaltungsgerichtshof, war mal Vorsitzender der Rundfunkbehörde KommAustria und er betreibt einen höchst lesenswerten Blog zum Thema Medien und Recht. In seinem neuesten Text hat er sich die Neubestellung des ORF-Publikumsrats näher angesehen. (Davor hat er auch schon dazu getwittert.) Und dabei sind ihm einige sehr seltsame Dinge aufgefallen.

13 Mitglieder des Publikumsrats werden direkt von Institutionen aufgestellt, die im ORF-Gesetz namentlich aufgezählt werden, das sind vor allem Sozialpartner, Kirchen und – warum auch immer – die Politischen Akademien der Parteien. Für die 17 weiteren Mitglieder sind vom Bundeskanzleramt Vorschläge einzuholen, und zwar von Einrichtungen und Organisationen aus gesellschaftlichen Bereichen wie Hochschulen, Kunst, Familien, ältere Menschen, Volksgruppen usw. Die exakte Liste ist in § 28 (4) des ORF-Gesetzes geregelt.

Und dort stehen auch zwei Bedingungen: Die Institutionen, die Publikumsräte benennen wollen, müssten „repräsentativ“ für den jeweiligen Bereich sein und sie müssen „Dreier-Vorschläge“ vorlegen, aus denen die Medienministerin im Kanzleramt dann auswählen kann.

AUS DREI MACH EINS

Am 27. April wurden die eingegangenen Vorschläge in der Wiener Zeitung veröffentlicht: Für die 17 Publikumsräte hatten 24 Organisationen Empfehlungen vorgelegt. Das sind offensichtlich sehr wenige. In fünf Bereichen hat sogar nur jeweils eine Organisation jemanden nominiert, z.B. die Landjugend für Schüler, der Schiverband für Sport oder die völlig unbekannte Begabungsakademie Steiermark im Bereich Bildung. Niemand sonst hat sich für diese Themen interessiert.

Das ist ungewöhnlich und bedauerlich, aber nicht ungesetzlich. Gesetzeswidrig ist hingegen, dass gleich 14 der 24 Organisationen nur einen einzigen Namen eingereicht haben und nicht die vorgeschriebenen drei. Trotzdem hat Medienministerin Raab gleich elf (!) von 17 neuen Publikumsräten auf Basis dieser Einser-Vorschläge ernannt. Rundfunk-Experte Lehofer: „Damit wurden immerhin 11 Personen aufgrund von Vorschlägen bestellt, die entgegen den gesetzlichen Bestimmungen keine Dreier-Vorschläge waren.“

DER „REPRÄSENTATIVE“ THINK TANK

Höchst fragwürdig ist aber auch, ob alle Organisationen, die Vorschläge eingereicht haben, tatsächlich auch „repräsentativ“ sind, wie es das ORF-Gesetz vorschreibt.

Am auffälligsten ist das bei den Hochschulen. Da gab es einen korrekten Dreier-Vorschlag der zweifellos repräsentativen Universitätenkonferenz, auf dem ein renommierter Wiener Professor für Medienrecht steht (Spezialgebiet Digitalisierung), ein Kommunikationswissenschafter der Uni Salzburg sowie die Pressereferentin der Universitätenkonferenz.

Aber es wurde auch noch ein zweiter Vorschlag zu Hochschulen eingereicht: Vom Verein Academia Superior, einem ÖVP-nahen Think Tank/Do Tank“ aus Oberösterreich. Kuratoriumsvorsitz: ÖVP-Landeshauptmann Stelzer, Obfrau: ÖVP-Landeshauptmann-Stellvertreterin Haberlander, gegründet vom damaligen ÖVP-Landesrat Strugl. Dieser Vorschlag enthielt nur einen Namen: Den prominenten Genetik-Professor, wissenschaftlichen Leiter von Academia Superior und gelegentlichen ÖVP-Wahlhelfer Markus Hengstschläger.

Nun kann man mit gutem Recht bezweifeln, dass ein parteinaher Verein für „Zukunftsforschung“ ausreichend repräsentativ für den Bereich Hochschulen ist, wie es das ORF-Gesetz fordert. Erst recht, wenn es auch eine Einreichung der Universitätenkonferenz gibt, also der offiziellen Vertretung aller Unis. Völlig eindeutig ist aber, dass ein Vorschlag, der nur einen Namen enthält, kein Dreier-Vorschlag ist, wie ihn das Gesetz verlangt. Trotzdem hat Medienministerin Raab letzte Woche Markus Hengstschläger in den Publikumsrat entsandt.

Im Bereich Konsumenten hat Raab einen Professor der WU ernannt, den der Fundraisingverband Austria als einzigen Namen vorgeschlagen hatte: Michael Meyer. Dafür, dass ein Dachverband der heimischen Spendenorganisationen repräsentativ für Konsumenten sein könnte, findet Rundfunkjurist Lehofer „absolut keinen Anhaltspunkt“.

Lehofers lakonische Zusammenfassung, gleich zu Beginn seiner ausführlichen Analyse: „Hengstschläger und Meyer haben zwei Dinge gemein: Erstens, sie sind jetzt Mitglied des ORF-Publikumsrats. Und zweitens: sie sollten es nicht sein.“

SO WENIG INTERESSE

Auch für mehrere anderen Themenbereiche ist höchst fraglich, wie repräsentativ die Organisationen sind, die Publikumsräte (in Wahrheit meist nur eine·n) vorgeschlagen haben. Aber das geht nicht, erläutert Lehofer: „Ein Vorschlag, der von einer … nicht repräsentativen Einrichtung bzw. Organisation erstattet wurde, darf … durch die Medienministerin nicht berücksichtigt werden.“

Einigermaßen seltsam scheint auch, dass sich im Land der zehntausenden Vereine gerade mal 24 Institutionen mit Nominierungen gemeldet haben: Warum keine der Schülerorganisationen? Der ÖSV als einziger Sportverband? Nur zwei kleine Kulturvereine für Kunst? Für Jugend nur die Hochschülerschaft und die Katholische Jugend? Lehofers pragmatische Erklärung: „Es kann … auch darauf zurückzuführen sein, dass bereits im Vorfeld vereinbart oder zumindest bekannt wurde, wer bestellt werden wird.“

Trotzdem ist es natürlich ein Armutszeugnis, dass nur zwei Dutzend der Abertausenden Organisationen und Vereine im Land überhaupt Vorschläge eingereicht haben. Ein simples E-Mail mit drei Namen hätte genügt, selbst mit der Aussicht, dass ohnehin jemand ausgewählt wird, der oder die bereits feststand.

ZUFÄLLIG PARTEINAH

Jedenfalls lassen sich für den Großteil der 17 Publikumsräte, die ÖVP-Ministerin Raab nun ernannt hat, Verbindungen zur ÖVP nachweisen, für einige auch eine Nähe zu den Grünen. So stammt etwa die Schüler-Vertreterin aus der ÖVP-Schülerunion. Die Senioren-Vertreterin sitzt im Bundesvorstand des ÖVP-Seniorenbunds. Der Sport-Vertreter hat für die ÖVP die Sportagenden im Regierungsprogramm verhandelt. Für den Bereich Kraftfahrer wurde der ÖAMTC-Vertreter bestellt, der als politischer Referent in der ÖVP-Zentrale begann. Der Publikumsrat für Familien war Geschäftsführer der Julius-Raab-Stiftung und des ÖVP-nahen Hilfswerks und so weiter. Die Grünen dürfen sich über zwei Klima-Aktivistinnen aus den Bereichen Jugend und Umweltschutz freuen.

Hans Peter Lehofer dazu im Ö1-Medienmagazin Doublecheck: „Es ist ja nicht so, dass man gegen einzelne Personen Vorbehalte hat, und es ist logisch, dass in dem Bereich, wo gesellschaftliche Gruppen relevant sind, natürlich auch politische Nähe besteht. Aber es sollte insgesamt doch repräsentativ sein. Und da kommt mir schon vor, dass hier eine deutliche Unter-Repräsentierung von verschiedenen Gruppen gegeben ist.“

Wichtig ist das vor allem deshalb, weil aus dem (eher machtlosen) Publikumsrat nächste Woche sechs Mitglieder in den sehr viel einflussreicheren ORF-Stiftungsrat gewählt werden. ÖVP und Grüne haben – wie auch schon frühere Koalitionspartner – vereinbart, diese sechs Mitglieder drei zu drei unter sich aufzuteilen. Im nächsten Stiftungsrat werden die beiden Regierungsparteien so eine solide Zweidrittel-Mehrheit stellen: 24 von 35. Eine absolute Mehrheit (18 von 35) hat die ÖVP sogar alleine.

Ein eigenes Verfassungsgesetz aus dem Jahr 1974 garantiert die „Unabhängigkeit der Personen und Organe“ des ORF. Ich weiß nicht, ob es noch ein anderes Verfassungsgesetz gibt, das seit Jahrzehnten von sämtlichen Regierungen, egal welcher Konstellation, derart beharrlich und regelmäßig missachtet wird. Man sollte ja meinen, dass das ebenso regelmäßig zu Aufregung, Protest und öffentlicher Empörung führt. Weil der ORF uns allen gehört – und nicht der Medienministerin, politischen Parteien oder der Regierung.