Warum feiern wir am 26. Oktober Nationalfeiertag?

„Weil da 1955 die letzten (russischen) Besatzungssoldaten Österreich verlassen haben“, haben viele von uns in der Schule gelernt. Das ist aber falsch.

Tatsächlich wurde am 26. Oktober 1955 im Nationalrat die „immerwährende Neutralität“ Österreichs beschlossen. Zehn Jahre später wurde dieser Tag dann zum Nationalfeiertag erklärt (die ersten zwei Jahre übrigens noch ohne arbeitsfrei zu sein).

Das war damals nicht ganz unumstritten und ist auch recht ungewöhnlich. Normalerweise wird mit einem Nationalfeiertag ja die Unabhängigkeit eines Staates gefeiert – dementsprechend wurden auch lange der 12. November (Ausrufung der Republik 1918), der 27. April (Unabhängigkeitserklärung 1945) und der 15. Mai (Staatsvertrag 1955) als Feiertage diskutiert.

Letztlich wurde es aber doch der 26. Oktober, der bis dahin in den Schulen als „Tag der Fahne“ begangen worden war. Der Beschluss des Neutralitätsgesetzes sollte als „erste feierliche Äußerung des Unabhängigkeitswillens der Republik Österreich nach Wiedererlangung ihrer vollen Souveränität“ gefeiert werden.

Die Bezeichnung „Nationalfeiertag“ wurde aber noch diskutiert. Die FPÖ hätte einen „Staatsfeiertag“ (wie am 1. Mai) bevorzugt, sie bestritt damals noch ausdrücklich die Existenz einer eigenständigen „österreichischen Nation“, setzte sich aber nicht durch.

1955 hatte die FPÖ-Vorgängerpartei VdU gegen das Neutralitätsgesetz gestimmt. Die Unterstützung durch ÖVP, SPÖ und KPÖ reichte aber problemlos für die – bei einem Verfassungsgesetz – nötige Zweidrittel-Mehrheit. Als „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung wurde die Neutralität nicht gesehen, eine Volksabstimmung war deshalb nicht nötig.

Man kann es kaum glauben, aber von der historischen Abstimmung im Nationalrat, die wir nun jedes Jahr feiern, existiert kein einziges Bild – weder aus einer Wochenschau, noch ein einziges Foto. Formal in Kraft getreten ist die Neutralität dann am 5. November 1955, einen Tag nach ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt.

Bundesgesetzblatt Neutralitätsgesetz

Aber was hat es nun mit den „letzten Besatzungssoldaten“ auf sich?

Es gibt da tatsächlich einen Zusammenhang mit der Neutralität. Die hat Österreich zwar nicht „aus freien Stücken“ beschlossen, wie es im Gesetzestext heißt – sondern sie war die entscheidende Vorbedingung der Sowjetunion für ihre Zustimmung zum Staatsvertrag vom 15. Mai 1955. Damit es aber doch freiwillig aussah, wurde die Neutralität im Staatsvertrag mit keinem Wort erwähnt und sollte auch erst beschlossen werden, nachdem die Besatzungsmächte Österreich wirklich verlassen hatten.

Die vereinbarte Frist von neunzig Tagen für ihren Truppenabzug begann mit dem Tag, an dem der Staatsvertrag in Kraft trat, also am 27. Juli 1955, als Frankreich als letzter Vertragspartner seine Ratifikationsurkunde in Moskau hinterlegte. Am 25. Oktober waren diese neunzig Tage vorbei. Und für den Tag danach wurde der Nationalrat einberufen, um das Neutralitätsgesetz zu beschließen.

Die sowjetischen Soldaten waren da längst weg, ihr Abzug hatte am 4. August begonnen und war bereits am 19. September abgeschlossen. Die letzten alliierten Truppen in Österreich waren Briten, die am 25. Oktober die Kaserne Klagenfurt-Lendorf an Österreich übergaben. Etwa zwanzig britische Soldaten sollen sich dann allerdings noch einige Tage lang in Kärnten aufgehalten haben.