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Unzuverlässig wie nie: Die Wähler

Es war ein fulminanter Wahlsieg, den Peter Kaiser gestern in Kärnten errungen hat – mit dem dritthöchsten Zugewinn, den es je bei einer Landtagswahl gegeben hat.

Noch eindrucksvoller wird das Kärntner SPÖ-Ergebnis von 48 Prozent gestern aber im Vergleich zur Nationalratswahl. Im Herbst war Kärnten nämlich noch mehrheitlich blau und die SPÖ kam nur auf 29 Prozent. Die Freiheitlichen hatten im Oktober noch 32 Prozent, gestern waren es 23. Und die ÖVP schaffte mit dem Kanzlerkandidaten Kurz vor einem halben Jahr noch 26 Prozent in Kärnten, gestern aber nur mehr 15.

Dass die Wähler immer mobiler werden, ist seit Jahrzehnten ein Gemeinplatz der Politikforscher, aber so mobil wie bei den letzten Wahlen waren sie in Österreich noch nie.

In ihrem ganz neuen Buch über die Nationalratswahl 2017 haben die Wahlforscher Fritz Plasser und Franz Sommer dazu höchst eindrucksvolle Daten und Tabellen.*

So hat 1990 gerade mal ein Viertel der Wähler bei verschiedenen Wahlen unterschiedliche Parteien gewählt – 2017 waren es mehr als zwei Drittel. Der typische Wähler ist heute ein Wechselwähler.

Schaubild
Plasser/Sommer: Wahlen im Schatten der Flüchtlingskrise, Wien 2018, S. 22

 

Nur mehr 34 Prozent stehen heute einer Partei „gefühlsmäßig nahe“, zu Beginn der 1980er Jahre waren es noch mehr als 60 Prozent. Damals hat noch fast die Hälfte der Wähler „ihrer“ Partei in jedem Fall die Treue gehalten, heute sagen das nur mehr 18 Prozent.

Schaubild
Plasser/Sommer, S. 19 (Anmerkung: in der Grafik wurden offenbar die Legenden für die gepunktete und die gestrichelte Linie vertauscht – AW)

 

Man sieht das auch an der Zahl der Parteimitglieder. Die ist bei der ÖVP wegen der vielen Mitgliedschaftsvarianten in den diversen Teilorganisationen schwer zu messen, bei der SPÖ hingegen wird sie übersichtlich dokumentiert. Und die Entwicklung seit der letzten absoluten Mehrheit unter Kreisky bis heute ist dramatisch – von 721.000 Mitgliedern ist gerade noch ein Viertel übrig.

Schaubild
Plasser/Sommer, S. 24

 

Nicht ganz so desaströs, aber für die SPÖ trotzdem extrem besorgniserregend haben sich die Wahlerfolge in der Arbeiterschaft, ihrer historischen Kernschicht, entwickelt: Eine Halbierung seit Anfang der 1980er Jahre, während die Freiheitlichen von gerade mal 3 auf 47 Prozent Arbeiterstimmen geradezu explodiert sind. Und auch den tiefen Einbruch nach den Parteiskrisen Anfang der 2000er Jahre hat die FPÖ bei den Arbeitern mittlerweile wieder aufgeholt, während die SPÖ auf ihrem historischen Tiefststand angekommen ist.

Schaubild
Plasser/Sommer, S. 29

 

Alarmierend ist die Entwicklung der Demokratie-Zufriedenheit in Österreich. Innerhalb weniger Jahre ist sie von 70 auf 44 Prozent gefallen, mehr als die Hälfte der Österreicher sind mit dem „Funktionieren der Demokratie“ im Land überhaupt nicht oder nicht besonders zufrieden.

Tabelle
Plasser/Sommer, S. 41

 

Ein zentraler Faktor dabei war der Flüchtlingszustrom im Herbst 2015. Zwei Jahre zuvor meinten noch 53 Prozent der Wähler, also mehr als die Hälfte, die politische Situation in Österreich entwickle sich „in die richtige Richtung“. Im Jänner 2016 sagten das nur mehr 23 Prozent, also weniger als ein Viertel, und unmittelbar vor der Nationalratswahl gar nur mehr 20 Prozent. 69 Prozent befanden, das Land entwickle sich in die falsche Richtung. Dass das keine gute Nachricht für den amtierenden Kanzler Kern war, ist offensichtlich.

Tabelle
Plasser/Sommer, S. 50

 

Für Kern und die SPÖ war die Wahl bereits im Mai 2017 verloren, sagen Plasser und Sommer – der Obmann-Wechsel in der ÖVP von Mitterlehner zu Kurz hätte die Wahl entschieden, bevor überhaupt ein Termin festgelegt war.

Tatsächlich sind die Zahlen eindrucksvoll. Unmittelbar vor dem Obmann-Wechsel lag die ÖVP in Umfragen bei 22 Prozent und klar auf dem dritten Platz, deutlich in Führung war die FPÖ. Nur einen Monat später hatte die ÖVP ihre Wählerschaft um die Hälfte vergrößert, auf 33 Prozent, vor allem auf Kosten der FPÖ, die auf Platz drei zurückfiel, aber auch auf Kosten der SPÖ.

Tabelle
Plasser/Sommer, S. 75

 

Letztlich hat Kanzlerkandidat Kurz der ÖVP knapp 500.000 Stimmen gebracht, schätzen die Wahlforscher. Der stärkste „Spitzenkandidaten-Effekt“, den sie in Österreich je beobachtet haben.

Das zeigt sich auch sehr eindrucksvoll in der letzten Tabelle: Noch nie zuvor gab es einen Wahlkampf, in dem der Oppositionsführer in der „Kanzler-Frage“ vor dem amtierenden Bundeskanzler lag.

Tabelle
Plasser/Sommer, S. 105

 

Die einzige Chance der SPÖ auf einen Wahlsieg wären vorgezogene Neuwahlen nach dem großen Koalitionskrach im Jänner 2017 gewesen, vermuten die Politologen. Damals wäre das Ergebnis zumindest noch offen gewesen, ab Mai sei die Frage nur noch gewesen, wie hoch die ÖVP gewinnen werde.

Und noch eine interessante Zahl haben Plasser und Sommer: Hätten nur die regelmäßigen Leser der Boulevard-Blätter KRONE, ÖSTERREICH und HEUTE gewählt, hätte die FPÖ mit 36 Prozent die Wahl gewonnen, vor der ÖVP mit 30 und der SPÖ mit 25 Prozent (S.142).


* Plasser, Fritz/Sommer Franz: Wahlen im Schatten der Flüchtlingskrise, Facultas, Wien 2018