Screenshot TV-Duell

Tempelberg: Norbert Hofers „Terrorakt“, den es nie gab

In der „Causa Tempelberg“ hat Norbert Hofer nun auch in der zweiten Instanz gegen den ORF verloren. Seine Beschwerde sei unbegründet, der ORF habe nicht gegen das Objektivitätsgebot verstoßen, urteilt das Bundesverwaltungsgericht. Hofers Beschwerde wird in allen Punkten zurückgewiesen.


Es ist eine Geschichte, an die sich Jüngere vielleicht gar nicht mehr erinnern können – aber in der ersten Runde des Präsidentschafts-Wahlkampfs zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer hat sie im Mai 2016 riesiges Aufsehen gemacht. Und sie hat mich seither beschäftigt wie wenig anderes in meinem Berufsleben.

Denn obwohl Norber Hofer damals im Wahlkampf mehrfach etwas behauptet hat, das in Wahrheit nie stattgefunden hat, glauben bis heute viele Menschen, der ORF hätte damals etwas falsch gemacht – und nicht Norbert Hofer.

In einer absurd empörten Kampagne gegen den ORF hat sich die FPÖ damals auch bei der Medienbehörde beschwert. 2017 hat sie dort haushoch verloren. Die KommAustria entschied damals nach einem langen Verfahren und der Einvernahme etlicher Zeugen in einem sehr ausführlichen Bescheid, dass Hofers Version der Geschichte falsch war und der ORF seine Recherchen „mit bestmöglicher Genauigkeit und Sorgfalt“ durchgeführt hat.

Mich hat das damals sehr erleichtert – denn diese Recherchen waren großteils von mir.

Doch statt es bei dieser – eher peinlichen – Niederlage bewenden zu lassen, zog Hofer in die nächste Instanz, vor das Bundesverwaltungsgericht. Dort hat das Verfahren fast vier Jahre lang gedauert, aber nun liegt im Namen der Republik das Urteil vor. Auf 89 Seiten wird Hofers Beschwerde penibel Punkt für Punkt zerpflückt, bis nichts mehr davon übrig ist. Zentraler Satz:

„Unzweifelhaft hätte … der Sachverhalt, so wie er sich auf Basis der Angaben des Beschwerdeführers [Hofer] darstellte, durch eine – egal wie ausführlich durchgeführte – Recherche … niemals verifiziert werden können, als sich ein solcher in dieser Form nicht … zugetragen hat.“

(Eine anonymisierte, deshalb etwas kürzere Version des gesamten Urteilsspruchs gibt es hier online.)

Aber worum gehts eigentlich?

Im Wahlkampf 2016 hatte Norbert Hofer in mehreren Interviews ungefragt erzählt, wie er bei einem Israel-Besuch zwei Jahre zuvor „mitten in einen Terrorakt hineingekommen“ sei. Am Tempelberg hätte eine „mit Handgranaten und Maschinenpistolen“ bewaffnete Terroristin versucht, „betende Menschen zu töten“, sie sei aber „zehn Meter neben mir“ von der Polizei erschossen worden.

Dieser „Terrorakt“ hat nie stattgefunden.

Es gab keine bewaffnete Terroristin, keine Handgranaten, keine Maschinenpistolen, niemanden, der betende Menschen töten wollte und es wurde auch niemand zehn Meter neben Herrn Hofer erschossen. Nicht in Israel und auch sonst nie.

Als Hofer mit diesem Ergebnis einer umfangreichen Recherche, die ich eigentlich für ein ZiB2-Interview begonnen hatte, im letzten TV-Duell vor der Stichwahl von Ingrid Thurher konfrontiert wurde, ist nahezu die Hölle losgebrochen.

Hofer war außer sich, die FPÖ fantasierte von einem „unfassbaren ORF-Skandal … perfider und widerlicher Wahlmanipulation“ und verlangte Konsequenzen, selbst das Van der Bellen-Team war entrüstet über den ORF, weil man dort vermutete, die Debatte könnte Hofer auf den letzten Wahlkampf-Metern sogar helfen.
Klingt heute absurd, aber es war so.

WAS WIRKLICH GESCHAH

Tatsächlich war bei Hofers Israel-Besuch im Juli 2014 folgendes passiert: Hofer und seine Begleiter konnten nach einem Besuch am Tempelberg einen Parkplatz nahe der Klagemauer für einige Zeit nicht verlassen – wegen einer Polizeiabsperrung. Eine unbewaffnete Frau hatte ein Polizeikommando nicht befolgt und war durch einen Warnschuss ins Bein verletzt worden.

Norbert Hofer hat diese Frau nie gesehen, er hat den Schuss nicht gehört, er hat nur seinen Dolmetscher zur Polizeisperre geschickt. Diesem wurde – so hat er im Verfahren ausgesagt – erzählt, die Polizei habe auf eine mögliche Terroristin geschossen. Auch ein FPÖ-Politiker, der mit Hofer auf dem Parkplatz wartete, bezeugte, dass die kleine Reisegruppe die verletzte Frau nie gesehen und auch keine Schüsse gehört hat.

Nun wäre eine schwerbewaffnete Terroristin, die am Tempelberg – einem der politisch heikelsten und bestbewachten Orte der Welt -, gerade noch erschossen wird, bevor sie ein Blutbad unter Gläubigen anrichtet, ein politisches Erdbeben, das weltweit eine Lawine an Medienberichten ausgelöst hätte – und das über mehrere Tage hinweg.

ISRAELISCHE MEDIENBERICHTE

Polizei-Zwischenfälle mit Leichtverletzten hingegen sind in Israel quasi Alltag. Dementsprechend gab es damals zwar keinen einzigen internationalen Medienbericht, aber in einigen israelischen Lokalmedien Kurzmeldungen über die unbewaffnete Frau, die nahe der Klagemauer verletzt worden war. Mit einer schwerbewaffneten Terroristin hatte sie nichts zu tun – und auch der Pressesprecher der israelischen Polizei dementierte schriftlich und in einem ORF-Interview kategorisch, dass es einen „Terrorakt“, wie ihn Hofer mehrfach geschildert hat, gegeben hat.

Auf die verletzte Frau war ich bei meinen Recherchen nicht gestoßen – wenig überraschend, ich hatte ja nach einer erschossenen schwerbewaffneten Terroristin auf dem Tempelberg gesucht. Doch kurz vor Ende des TV-Duells twitterte ein Wiener Journalist, der sich in Israel besonders gut auskennt, eine Online-Meldung der „Jerusalem Post“ über den Zwischenfall an der Klagemauer.

„ÜBERTRIEBENES AUGENROLLEN““

Diesen Kurzbericht über die verletzte Frau nahm Hofer nun als Beleg dafür, dass es seinen „Terrorakt“ sehr wohl gegeben hätte und ihm der ORF – wenige Tage vor der Wahl – aufgrund einer schleißigen Recherche eine Lüge unterstellt hätte. Er hätte das auch leicht widerlegen könnten, habe jedoch im Wahl-Duell keine wirkliche Chance dazu gehabt, weil er „völlig überraschend“ damit konfrontiert worden sei.

Moderatorin Ingrid Thurnher habe sogar versucht, ihn „mit bestimmten Stilmitteln (Sprechen im Sing-Sang-Ton, übertriebenes Augenrollen, Wort- und Satzwiederholungen wie gegenüber einem trotzigen Kind und hämischen Aussagen) lächerlich zu machen“. Und auch in späteren Sendungen wäre die skandalöse Unterstellung nicht ausreichend korrigiert worden. Der ORF hätte damit gleich mehrfach das gesetzlich vorgeschriebene Objektivitätsgebot gröblich verletzt.

Jeden einzelnen dieser Vorwürfe hat das Bundesverwaltungsgericht auf den 89 Seiten seines Urteils im Detail untersucht – und entkräftet.

Vom ORF durch Recherche zu überprüfen waren demnach Hofers „öffentlich wiederholt getätigte Aussagen … die bei objektiver Betrachtung keine grundlegende Alternativversion des Vorfalls vermuten ließen.“  Hofer habe mit seinen Schilderungen den Anschein erweckt, „sämtliche von ihm geschilderten Geschehnisse mit eigenen Augen aus kürzester Distanz beobachtet zu haben“. Mit seinen zahlreichen Kritikpunkten „vermag der Beschwerdeführer der Recherchetätigkeit … nichts entgegenzusetzen.“

Ingrid Thurnher hatte dem FPÖ-Kandidaten in der Sendung auch keineswegs vorgeworfen, er hätte gelogen, sondern ihn wörtlich gefragt: „Kann es sein dass Sie da irgendwas verwechseln in Ihrer Erinnerung“? Die Moderatorin habe Hofer also nicht unterstellt, in Israel gar nichts erlebt zu haben, schreibt das Gericht, „sondern versucht, eine Erklärung für das widersprüchliche Rechercheergebnis zu erhalten“.

„IRGEND SO EIN FOUL“

Hofer konnte, so heißt es im Urteil weiter, „frei sowie ohne besondere zeitliche Vorgaben … seinen Standpunkt darlegen. Schon die einfache Wiedergabe seiner Wahrnehmungen … hätte zur erfolgreichen Aufklärung des Sachverhalts geführt.“ Stattdessen antwortete Hofer in der Live-Sendung vor fast einer Million Zuseher*innen neuerlich:

„Am Tempelberg direkt hat eine Frau versucht, da gibt es einen Zaun, ein Tor, ich stand auf der einen Seite vom Zaun, sie auf der anderen Seite, und sie wollte dort hinein. Und sie hatte mitgehabt Handgranaten und Maschinenpistolen und wurde dort erschossen. Ich habe die Fotos mitgenommen, weil ich mir schon gedachte habe, dass irgend so ein Foul kommen wird.“

Die drei Fotos zeigten verschwommen eine Polizeiabsperrung, aber weder eine Frau und – logischerweise – auch keine Handgranaten oder Maschinenpistolen. Dass Hofer diese Fotos allerdings im TV-Studio mit hatte, würde – so das Gericht – „nicht gerade darauf hindeuten, völlig unvorbereitet mit der Angelegenheit konfrontiert worden zu sein.“

„KEIN SING-SANG-TON“

Zum von Hofer scharf kritisierten Verhalten von Ingrid Thurnher heißt es im Urteil, „dass sich die Moderatorin im inkriminierten Sendungsabschnitt keines Sing-Sang-Tones, keiner trotzigen Wortwiederholung oder hämischen Aussagen bediente“. Das Gericht konnte auch nicht erkennen, dass Thurnher mit „übertriebenem Augenrollen“ reagierte, sondern „vielmehr ihr Gesicht ungläubig verzog“, was allerdings „noch dem Objektivitätsgebot entspricht“.

Hofer hatte sich übrigens auch über folgende Interview-Passage beschwert:

Hofer: Also, wenn jetzt wirklich versucht wird, mir vorzuwerfen, ich hätte die Unwahrheit gesagt …
Thurnher (hämisch): Was tun wir dann?

Das Problem: Diese Interview-Passage gab es ebenso wenig wie eine erschossene Terroristin mit Maschinenpistolen. Tatsächlich verlief dieser Dialog in der Sendung nämlich so:

Hofer: Also, wenn jetzt wirklich versucht wird, mir vorzuwerfen, ich hätte die Unwahrheit gesagt …
ThurnherDas tun wir gar nicht, nein.

Die FPÖ hatte in ihrer Beschwerde die Stelle – warum auch immer – falsch transkribiert.

Das Gericht ist auch der Ansicht, dass der ORF in den späteren Sendungen das Publikum „mehr als ausreichend“ über den tatsächlichen Vorfall an der Klagemauer aufgeklärt habe. Und schließlich heißt es im Urteil noch zu Hofers Beschwerde, seinem Gegenkandidaten Van der Bellen sei im TV-Duell nichts Vergleichbares vorgehalten worden: „Wie dem Kontrahenten des Beschwerdeführers ein vergleichbarer Vorhalt gemacht werden hätte können, wenn derartiges im Vorhinein nicht über ihn bekannt wurde, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht.“

„ALS UNBEGRÜNDET ABZUWEISEN“

Was letztlich zur Entscheidung führte, dass der ORF „nicht gegen das Objektivitätsgebot verstoßen hat und der Beschwerdeführer demnach nicht in seinen Rechten verletzt wurde. Folglich war seine Beschwerde als unbegründet abzuweisen.“

Norbert Hofer könnte gegen diese Entscheidung jetzt noch den Verfassungsgerichtshof anrufen. Da er mit seinem offensichtlich aussichtslosen Fall schon in die zweite Instanz gegangen ist, wäre ich nicht sehr überrascht, wenn er es auch noch ein drittes Mal versucht. (Pikantes Detail: Hofers Anwalt in der ersten Instanz, Michael Rami, ist mittlerweile Verfassungsrichter und müsste sich in diesem Fall für befangen erklären.)

Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass sich am Ergebnis nichts ändern wird: Norbert Hofer hat als Präsidentschafts-Kandidat mehrfach nachweislich die Unwahrheit gesagt. Darüber zu berichten, ist selbstverständlich kein „unfassbarer ORF-Skandal“ und keine Verletzung des Objektivitätsgebots. Sondern unser Job.


Und dann gab es heute noch eine gute Nachricht.
Ich freue mich sehr! 😉

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