„Die Überlegungen Wolfs vernachlässigen daher…“

Mein jüngster Blog-Beitrag über die Bestellung des ORF-Stiftungsrats hat in der letzten Sitzung des Gremiums und im Kanzleramt einige Aufregung ausgelöst. Etliche Stiftungsräte fühlten sich, so wird erzählt, durchaus persönlich angegriffen. Dabei ging es in meinem Text ausschließlich darum, dass ich die Gesetzesbestimmung, mit der sie bestellt wurden, für problematisch halte; konkret für offenkundig verfassungswidrig, wenn man einem Kommentar von Christoph Grabenwarter folgt, dem Präsidenten des Verfassungsgerichts.

Eine „Fehlinterpretation“ nannte das Klaus Poier, Stiftungsrat des Landes Steiermark und hauptberuflich Verfassungsjurist. Und Medienministerin Susanne Raab forderte vom Verfassungsdienst im Kanzleramt eine eigene Stellungnahme zu meinem Blog-Beitrag an.

Freundlicherweise hat mir Kanzler-Sprecher Daniel Kosak diese Stellungnahme auf meine Anfrage zur Verfügung gestellt – mit der Genehmigung, die wesentlichen Passagen im Sinne einer offenen Debatte hier zu veröffentlichen. Und das meint der Verfassungsdienst in seiner „Information für die Bundesministerin“ vom 16. März (Hervorhebungen im Original):

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Verfassungswidrig – na, und?

Am Donnerstag dieser Woche, am 17. März, treffen sich die 35 ORF-Stiftungsräte noch ein letztes Mal. Ihre vierjährige Funktionsperiode läuft aus, der Stiftungsrat wird bis Mai neu bestellt. Nach einer Gesetzesbestimmung, die offensichtlich gegen die Verfassung verstößt.

Ich weiß das erst seit wenigen Tagen, seit ich auf einen Aufsatz von Christoph Grabenwarter gestoßen bin, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs. Grabenwarter ist auch ein renommierter Experte für Rundfunkrecht und als solcher hat er in einem Standardwerk zum deutschen Grundgesetz einen Kommentar über „Rundfunkfreiheit“ geschrieben.*

In der umfangreichen Analyse geht es grundsätzlich um Deutschland, wo das Höchstgericht 2014 in einem historischen Urteil die „Staatsferne“ von ARD und ZDF festgeschrieben hat. Aber Grabenwarter behandelt auch die Rundfunkfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Gemäß Artikel 10 der EMRK müsse die „Vielfalt im Rundfunk“ gewährleistet sein, erklärt er. Deshalb sei zu verhindern, dass „eine gewichtige ökonomische oder politische Gruppe oder der Staat eine dominante Position über eine Rundfunkanstalt … einnimmt“. Und konkret schreibt Grabenwarter über die Leitungs- und Aufsichtsorgane der Sender: „Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Art. 10 EMRK verletzt.“ (S. 240, siehe unten.)

Die EMRK ist in Österreich Teil der Verfassung. Und im ORF-Stiftungsrat gibt es – wie ich gleich zeigen werde – genau das: Eine quasi automatische Mehrheit von Vertretern der Regierungsparteien.

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„Was ist im Krieg erlaubt, Herr Janik?“

Diese Woche habe ich für die ZiB2 ein ungewöhnlich ausführliches Interview mit dem Wiener Völkerrechts-Experten Ralph Janik über den Krieg in der Ukraine geführt: Ob der russische Überfall Wladimir Putin automatisch zum Kriegsverbrecher macht und ob er dafür irgendwann vor Gericht muss? Was überhaupt Kriegsverbrechen sind? Wie man Verstöße gegen das Kriegsrecht verhindern kann? Und wir haben auch sehr detailliert über die österreichische Neutralität gesprochen – und was sie konkret in diesem Krieg und auch grundsätzlich bedeutet. Und auch darüber, ob und wie man sie wieder abschaffen könnte.

Es gibt von diesem Interview eine ca. sechs Minuten lange Version, die wir in der ZiB2 gesendet haben. Und eben eine Langfassung von knapp 27 Minuten, die sie hier sehen oder hier hören können. Oder nachfolgend lesen:


Herr Dr. Janik, das was wir da in den letzten Tagen in der Ukraine sehen, in Städten wie Charkiw, Kiew, Mariupol – immer mehr Angriffe auf zivile Ziele – da sagt der britische Premierminister, das seien Kriegsverbrechen. Ist das so?

Ja, das lässt sich relativ leicht herunterdeklinieren. Grundsätzlich greift hier das humanitäre Völkerrecht und einer der zwei Grundsätze, die hier zur Anwendung kommen, ist das Prinzip der Unterscheidung. Man darf Zivilisten und zivile Objekte nicht direkt angreifen und solche Angriffe fallen auch unter die Definition eines Kriegsverbrechens.

Vielleicht einmal grundsätzlich von Anfang an: Diese russische Invasion in der Ukraine selbst ist eindeutig völkerrechtswidrig, oder?

Ja, auch das ist rechtlich ganz leicht herunterzudeklinieren. Wir haben ein Interventionsverbot, wir haben ein Verbot von Krieg, wir haben ein Verbot von direkter und indirekter Gewalt. Und gegen all diese fundamentalen Regeln des Völkerrechts verstößt Russland hier, weil keine der Ausnahmen greift. Also weder hat die Ukraine Herrn Putin dazu eingeladen auf ukrainischem Territorium gegen die Ukraine vorzugehen, das wäre ja auch absurd, noch gibt es eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats und es ist auch kein Fall von Selbstverteidigung. Also, weder können die sogenannten Volksrepubliken, die ja keine unabhängigen Staaten sind, eine solche Einladung aussprechen, noch ist es der Fall, dass Russland von der Ukraine angegriffen worden wäre. Man muss ja kein Militärstratege sein, um zu wissen, dass ein Angriff auf Russland keine besonders gute Idee wäre.

Dieser Krieg selbst ist völkerrechtswidrig, aber gilt dann trotzdem innerhalb eines rechtswidrigen Krieges das Kriegsrecht?

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„Ist Putin noch rational, Herr Krastev?“

Kaum ein Experte weiß so viel über Wladimir Putin wie der bulgarische Politologe Ivan Krastev, der seit vielen Jahren in Wien am IWM, dem Institut für die Wissenschaft vom Menschen, arbeitet. Krastev hat in den letzten Jahren mehrere sehr lesenswerte Bestseller geschrieben, er kommentiert regelmäßig in der New York Times die internationale Politik und berät Spitzenpolitiker·innen in ganz Europa.

Vergangenen Montag, vier Tage nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, habe ich für die ZiB2 mit Ivan Krastev gesprochen. Und weil es auf das Gespräch (hier die englische Originalfassung) extrem viele positive Reaktionen gab, habe ich es zum Nachlesen transkribiert:


Herr Krastev, viele Beobachter sind ziemlich überrascht, dass die russische Armee bisher nicht in der Lage war, die Ukraine quasi zu überrennen, Kiew zu erobern und den Widerstand der ukrainischen Armee zu brechen. Sie auch?

Ja, ich war überrascht, weil es viele Vorhersagen gegeben hat, auch von den amerikanischen Geheimdiensten, dass die Russen das können. Aber in Wahrheit ist die Überraschung für uns vielleicht kleiner als für die russische Führung. Eine der übelsten Dinge in der Politik ist es, wenn man zum Opfer der eigenen Propaganda wird. Und das ist meiner Meinung nach der russischen Führung in diesem Fall passiert. Sie hat wirklich geglaubt, dass die Ukrainer sie als Befreier erwarten würden und sie mussten feststellen, dass sie als Besetzer begrüßt worden sind.

Was war oder was ist Wladimir Putins Ziel mit diesem Krieg? Was will er erreichen?

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