Wie hart darf ein Interview sein?

Ich bin ja der Überzeugung, dass Medien und Journalist*innen ihre Arbeit und ihr Handwerk heute sehr viel mehr öffentlich erklären und transparent machen müssen als früher – um das Vertrauen des Publikums zu behalten und um sich Kritik zu stellen. Das ist auch ein wesentlicher Grund für diesen Blog – auf dem ich häufig über meine Arbeit schreibe.

In den letzten Tagen kam in der Debatte um mein Interview mit Harald Vilimsky auch die Kritik, ich würde im ZiB2-Studio grundsätzlich versuchen, meine Gesprächspartner stets „aufzublattln“ oder „aufzumachen“ oder gar zu „vernichten“. Für mich ist meine Annäherung an Interviews aber eine ganz andere.

Ich führe natürlich ganz andere Gespräche als Claudia Stöckl in „Frühstück bei mir“. In der ZiB2 sind es in der Regel kontroversielle Interviews mit politischen Akteur*innen über Politik. Es geht weniger um sie als Person und schon gar nicht um Privates. Die Interviews sind in der Regel live und mit sechs bis zehn Minuten recht kurz.

Meine Annäherung ist dabei immer die gleiche, egal, von welcher Partei ein Studiogast kommt und ob er oder sie mir privat oder politisch sympathisch oder unsympathisch sind: Ich konfrontiere sie mit Kritik, Widerspruch und Gegenargumenten zu ihrer politischen Position. Auf diese Weise sollen die Gäste ihre Politik erklären und begründen müssen – und die Zuseher*innen vor dem Fernseher entscheiden, ob sie die Argumentation überzeugend fanden oder nicht, und sie wissen nach dem Gespräch hoffentlich mehr über das Thema und auch über den Gast.

KONFRONTATION MIT KRITIK

Natürlich verlaufen die Gespräche immer anders: Zum einen sind die Themen unterschiedlich kontroversiell und natürlich kommunizieren verschiedene Politiker*innen auch ganz verschieden. Die einen versuchen halbwegs, auf die Fragen einzugehen, andere weichen grundsätzlich eher aus, manche attackieren den Interviewer, viele antworten – mit voller Absicht – sehr viel länger als in einem kurzen TV-Interview vorgesehen ist. Sie wissen, ich kann dann weniger (potentiell unangenehme) Fragen stellen oder ich muss sie unterbrechen, was viele Zuseher*innen geradezu hassen. Das lässt den Gast sympathischer wirken.

Ich führe die Gespräche deshalb so, weil Interviews eine der wenigen Situationen sind, die Politiker*innen und ihre PR-Leute nicht vollständig oder zumindest weitgehend inszenieren können. Man findet in Wahlreden, bei Parteitagen oder auf den Websites der Parteien sehr ausführliche Programme und Positionen – aber sehr wenige Gegenargumente dazu. Auch in Parlamentsreden gehen Abgeordnete selten auf Kritik direkt ein und auf Pressekonferenzen können Journalist*innen meist nicht mehr als ein- oder zweimal nachfragen.

Deshalb sind Interviews eines der ganz wenigen Formate, in denen Politiker*innen tatsächlich argumentieren müssen. Ich halte das – wenn es funktioniert – für sehr aufschlussreich.

Es funktioniert natürlich sehr unterschiedlich. Manche Interviews gelingen halbwegs, andere weniger. Praktisch jedes würde ich, wenn ich die Chance dazu hätte, beim zweiten Mal teilweise anders machen. (Das einzige ZiB2-Gespräch, bei dem ich nicht weiß, was ich wirklich hätte besser machen können, war dieses.)

FALSCHE ENTSCHEIDUNGEN

Während eines Live-Interview muss man in sehr kurzer Zeit sehr viele Entscheidungen treffen: Welche fünf bis sechs Fragen stelle ich überhaupt von den unzähligen denkbaren? Wie lange lass ich den Gast eine Frage nicht beantworten? Wie sehr gehe ich auf seine Antwort ein oder komme ich zu meinem Frageplan zurück? Korrigiere ich ein falsches Faktum oder war das nicht so wichtig? Wie reagiere ich auf Gegenfragen oder -angriffe? Und so weiter und so fort. Und nie sind hundert Prozent dieser Entscheidungen richtig, bei mir jedenfalls nicht.

Im Herbst 2015 habe ich ein besonders umstrittenes Interview mit Susanne Winter gemacht, der Nationalrats-Abgeordneten, die damals wegen eines antisemitischen Postings auf ihrer Facebook-Seite aus der FPÖ ausgeschlossen wurde.

Der FALTER hat mich danach zu meiner Art Interviews zu führen ausführlich – und sehr hart – befragt. Es war eine Art langes ZiB2-Gespräch, nur war ausnahmsweise ich der Gast, der mit Kritik, Gegenargumenten und Widerspruch konfrontiert wurde:


Faksimile Falter-Titel + Foto


Falter: Herr Wolf, Sie tragen in Wirklichkeit Brille. Warum setzen Sie sie im Studio nicht auf?

Armin Wolf: Weil ich 15 Dioptrien habe und meine dicken Gläser so starke Schatten werfen, dass man am Bildschirm meine Augen kaum sieht. Unsere Moderationstrainerin hat mir empfohlen, es einmal mit Kontaktlinsen zu versuchen, weil es im Fernsehen wichtig ist, die Augen zu sehen.

Sind sie eitel?

Jeder, der im Fernsehen vor der Kamera arbeitet und behauptet, er sei nicht eitel, lügt sich entweder selber an oder die anderen. Aber ich glaube, ich hab’s im Griff.

Wie viel Eitelkeit braucht man für Ihren Job?

Genügend, um auszuhalten, dass an manchen Tagen nach der Sendung hunderte Leute schreiben, was für ein Idiot man ist.

Fernsehen ist ein irrationales Medium. Für manchen Zuseher ist es wichtiger, ob die Krawatte des Moderators gut sitzt, als das Interview an sich.

Klar hat Fernsehen eine zusätzliche Dimension. Aber die ist oft auch sehr informativ. Politische Interviews sind vom reinen Infogehalt her ja oft überschaubar. Aber zu sehen, wie jemand nicht antwortet oder wie jemand eine Frage umgeht, kann sehr aufschlussreich sein.

Mediengeschulte Studiogäste haben deshalb im „ZiB 2“-Interview einen klaren Vorteil.

Im Normalfall sind die Studiogäste Medienprofis.

Irmgard Griss ist kein Medienprofi. Sie haben sie zum ersten Mal vor einem Jahr eingeladen, als sie ihren Bericht zum politischen Hypo-Debakel vorstellte.

Irmgard Griss ist ein Naturtalent. Sie ist ja erst durch ihren ersten „ZiB 2“-Auftritt derartig bekannt geworden. Der war sensationell. Ich hab selten einen so souveränen Fernsehauftritt gesehen.

Was hat sie richtig gemacht?

Sie hat ruhig und sehr authentisch die Fragen beantwortet, ohne um den heißen Brei herumzureden, und gewusst, wovon sie redet, weil sie inhaltlich sicher war. Aber ihr echter Vorteil war, dass sie – das war jedenfalls mein Eindruck – sehr in sich ruht und ein sehr gefestigtes Selbstvertrauen hat.

Im ersten Interview haben Sie ihr Stöckchen hingeworfen und sie gefragt, was die Politiker damals falsch gemacht haben. Als Griss vor einem Monat erklärte, Bundespräsidentin werden zu wollen, haben Sie sie deutlich härter gefragt.

Gegen „Stöckchen werfen“ wehre ich mich, solche Interviews mache ich nicht. Aber in der „ZiB 2“ gibt es zwei Arten von Interviews – mit Experten und mit Akteuren. Das erste Griss-Interview war ein Experteninterview zu ihrem Hypo-Gutachten. Es ging darum zu erfragen, was sie herausgefunden hat, erst im zweiten Teil auch kritisch um die Arbeit ihrer Kommission. In einem Politiker-Interview geht es darum, den Gast mit Einwänden, Gegenargumenten, früheren Aussagen und Widersprüchen zu konfrontieren. Ich frage Politiker nicht: „Was denken Sie eigentlich so?“

Warum nicht?

Weil man das meist schon weiß.

Sie als Politikjournalist wissen das. Aber viele Menschen wissen es nicht, sie kennen nicht einmal die Namen der Minister.

Das ist richtig, aber erstens sind die nicht das Hauptpublikum der „ZiB 2“. Zweitens hatten wir schon einmal Belangsendungen, die wurden wieder abgeschafft. Politiker unhinterfragt Wahlreden halten zu lassen, dafür sind die sechs Minuten im „ZiB 2“-Interview zu kurz.

Aber es sollte zumindest die Möglichkeit für Politiker geben, ihre Lösungsvorschläge zu erklären. Die gibt es aber nicht.

Das stimmt nicht. Das geschieht täglich. Im Normalfall schildern wir im Vorbericht, was Politiker vorhaben, im Studio fragen wir sie dann, warum sie das so machen. Warum sie es früher anders machen wollten. Und warum andere sagen, das geht nicht. Es wäre absurd, die Sendezeit der „ZiB 2“ zu verwenden, um einen Politiker zu bitten: „Schildern Sie Ihre Pläne, ich komme in fünf Minuten wieder.“ Jeder, der das Parteiprogramm der ÖVP lesen möchte, kann sich auf www.oevp.at stundenlang jedes Positionspapier durchlesen.

Sie wissen, dass das kein Mensch macht.

Ich fürchte, in einer Demokratie kann man die Bürger nicht ganz aus der Pflicht entlassen, sich zu informieren.

In der „ZiB 2“ sehen sie oft nur einen Gladiatorenkampf zwischen Moderator und Politiker.

Das ist falsch. Ganz falsch. A: Kein Gladiatorenkampf. B: Die „ZiB 2“ ist wahrlich nicht das einzige politische Forum in diesem Land. Wenn es das einzige wäre, könnte ich Ihrer Kritik vielleicht etwas abgewinnen. Aber selbst dann fände ich ein kritisches Interview noch immer sinnvoller als eine Wahlrede eines Politikers, weil man mehr daraus lernt. Das Land leidet nicht unter zu vielen kritischen Interviews.

Hat man nicht gerade in Ihrem Interview mit der ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Susanne Winter gesehen, dass …

… im österreichischen Parlament Rassistinnen sitzen. Stimmt.

Das wusste man schon vorher.

Das war vorher nicht so vielen Leuten bewusst.

Eine Frau, die Schwarzafrikaner „Neger“ nennt, den „Islam über das Mittelmeer zurückwerfen“ will und „zionistische Geldjuden weltweit für ein Problem“ hält – was hat so jemand im „ZiB 2“-Studio verloren?

Über diese Frage haben wir lange diskutiert. Ich war und bin bis heute skeptisch. Am Tag ihres Ausschlusses war ich krank, da hätte sie jedenfalls ins „ZiB 2“-Studio gehört. Am nächsten Tag gab es erneut die Idee, sie zu interviewen. Ich habe gefragt: „Warum heute?“, und war nicht begeistert. Ich muss zwar niemanden interviewen, den ich partout nicht interviewen möchte, aber mich hat schließlich doch eine Frage interessiert: „Warum hat die FPÖ kein Problem mit Rassismus und Islamfeindlichkeit, aber mit Antisemitismus neuerdings schon?“

Sehen Sie kein Problem darin, einer Wahnsinnigen ein so großes öffentliches Forum zu bieten?

Ich würde unsere Studiogäste nie „Wahnsinnige“ nennen. Sie ist eine Abgeordnete, die etwas aussagt über sich selbst und die Partei, die sie zweimal nominiert hat. Und es war eine Gelegenheit, über fraktionslose Abgeordnete zu diskutieren.

Sie nennen Winter vielleicht nicht „wahnsinnig“, aber Sie fragten sie, was sie im Parlament verloren habe.

Moment. Ich habe nicht gefragt, was sie im Parlament verloren hat, sondern was „jemand wie Sie“ im Parlament verloren hat, nachdem ich vierzig Sekunden davor die politische Bilanz der Frau Winter aufgezählt hatte.

Was soll Winter denn auf so eine Frage antworten?

Zum Beispiel: „Erstens, ich glaube nicht, dass Sie darüber entscheiden, wer etwas im österreichischen Parlament verloren hat, sondern die Wähler. Zweitens weiß ich nicht, ob Sie schon mal was von Meinungsfreiheit gehört haben. Drittens, was haben Sie eigentlich im ORF verloren?“ Übrigens hat sich Frau Winter bis heute nicht ein einziges Mal über das Interview beschwert.

Das glaube ich. Es hat ihr wahrscheinlich ja auch genützt.

Das glaube ich gar nicht. Sie glauben wirklich, es habe ihr genützt?

Die freut sich doch, wenn sie die Primetime bekommt.

Das ist etwas anderes, dass sie sich freut. Aber Sie glauben, es hat ihr genützt?

Wenn Sie so hart mit einer Interviewpartnerin ins Gericht gehen, bekommt sie Mitleid. Der ehemalige grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber verglich Ihr Interview mit „Lynchjustiz“.

Stimmt. Und Generationen von Grünen haben nicht gewusst, ob sie lachen oder weinen sollen, als sie auf Facebook gelesen haben, dass sich ausgerechnet Johannes Voggenhuber Sorgen um den Umgang miteinander macht.

Aber es muss doch etwas falsch laufen, wenn sogar ein Grüner eine Rechtsextreme verteidigt.

Da lief, fürchte ich, bei Herrn Voggenhuber etwas falsch. „Lynchjustiz“ ist ein derart absurder Vergleich, dass ich seither ernsthaft an seiner politischen Urteilsfähigkeit zweifle.*

Hinter dem Wort steckt der Vorwurf, Sie würden Ihre Interviewgäste ins Eck drängen und mit ihnen einen Boxkampf veranstalten. Verstehen Sie die Kritik nicht?

Nein, weil die Interviewgäste ja auf jede denkbare Weise reagieren können. Frau Winter hätte auch aufstehen, gehen und sagen können: „Herr Wolf, so muss ich mich von Ihnen nicht behandeln lassen!“

Geht es Ihnen bei solchen Auseinandersetzungen auch um Ihr Ego?

Nein, mein Ego ist nach 13 Jahren „ZiB 2“ ausreichend befriedigt.

Aber man bekommt den Eindruck, bei Ihnen rückt der Interviewgast in den Hintergrund. Es ist eine Wolf-Show.

Wenn das so ist, wäre das nicht gut. Das ist nicht der Sinn der Sache.

Sie können Ihren Interviewstil jedenfalls nicht mehr ändern. Einen zahmen Wolf gibt es nicht.

In der „ZiB 2“ kann ich ihn wahrscheinlich nicht grundsätzlich verändern. Aber warum sollte ich das machen, solange das Format so ist, wie es ist?

Vielleicht langweilt Sie es einmal.

Bis jetzt nicht. Es ist total spannend. Ich finde, ich hab den interessantesten journalistischen Job in Österreich.

Sie sind auch Österreichs bekanntester Journalist. Voggenhubers Kritik wäre kein Thema geworden, wenn Sie seinen Facebook-Eintrag ignoriert hätten. Ihn kennt ja kaum jemand. Sie hingegen erreichen über Facebook und Twitter jeweils mehr als 200.000 Menschen. Warum haben Sie seine Kritik hochgekocht?

Was Herr Voggenhuber denkt, ist mir egal. Ich hätte nicht reagiert, wenn er mir nicht „Lynchjustiz“ und „mediale Hinrichtung“ vorgeworfen hätte. Voggenhuber hat diesen bizarren Vergleich vor seinen 3000 Facebook-Fans gebracht, aber verbreiten konnte sich das auch an 30.000. Wenn er mich öffentlich anschüttet, reagiere ich darauf auch öffentlich.

Sie sind Medienprofi genug, um zu wissen, was das auslöst.

Ich habe kein Problem damit, was es ausgelöst hat.

Sie stehen mit dem „Lynchjustiz“-Vergleich in Zeitungen, und Ihr Stil steht zur Diskussion.

Wenn jemand mit dem großen Dreschflegel auf mich losgeht, bin ich nicht der Typ, der sagt: „Bitte noch einmal!“ Ich wehre mich schon zur Not. Ich bin nicht konfliktscheu.

Wenn Sie allein auf Facebook mit potenziell rund 250.000 Menschen kommunizieren …

… in dem Fall sogar viel mehr. Das Voggenhuber-Posting hat auf meiner Facebook-Seite 950.000 Leute erreicht.

… haben Sie zu viel Macht?

Max Weber sagt: „Macht ist die Fähigkeit, seinen Willen gegen Widerstand durchzusetzen.“ Was kann ich gegen Widerstand durchsetzen?

Sie können Themen setzen, Leute hochjubeln und Shitstorms gegen jemanden anzetteln. Vergangenes Jahr haben Sie einen „Presse“-Redakteur so scharf kritisiert, dass das Nachrichtenformat „Profil“ von einer „Fatwa“ schrieb.

Ja, das war ähnlich dämlich wie die „Lynchjustiz“. Ich schreibe natürlich auch Unsinn und Dinge, bei denen man ganz anderer Meinung sein kann. Aber wenn jemand in einer ernstzunehmenden Zeitung erklärt, man solle sein Kind körperlich züchtigen, und ich schreibe, nein, macht das bitte nicht, und von meinen Gewalterfahrungen als Kind erzähle und „Profil“ das eine „Fatwa“ nennt, fällt mir dazu nix anderes ein als „Habt ihr sie noch alle?“.

Der „Presse“-Artikel war zwar jenseits, aber gleichzeitig hat Ihre Kritik einen Shitstorm gegen den „Presse“-Redakteur ausgelöst. Dem Kollegen soll es danach lange sehr schlecht gegangen sein.

Man könnte sich auch fragen, warum ein intelligenter, erwachsener Mensch – den ich persönlich nicht kenne – in einer Zeitung mit 300.000 Lesern bewusst schreibt, dass er sein Kind körperlich züchtigt. Da muss er mit den Reaktionen leben. Ich muss auch mit vielen Reaktionen leben.

Der Unterschied ist: Wenn Sie jemand kritisiert, wirft er mit einem Schneeball nach Ihnen. Wenn Sie jemanden kritisieren, treten Sie eine Lawine los.

Ich bezahle die Leute ja nicht dafür, dass mich wer auf Facebook oder Twitter liest. Und ich glaube schon, dass ich verantwortungsvoll damit umgehe. Ich hetze keine Menschen gegeneinander auf wie manch andere, die viele Follower haben. Ich habe so viel Reichweite wie ein durchschnittlicher Kommentator in einer Zeitung. Hat der auch zu viel Macht?

In einer Zeitung gibt’s eine Redaktion als Korrektiv. Sie bestimmen allein.

Da unterschätzen Sie meinen Freundeskreis. Und ich habe auch schon Postings gelöscht.

Sind Sie kritikresistent?

Nein.

Wann haben Sie zuletzt Kritik angenommen?

Die ganze Zeit. Sie haben keine Ahnung, wie viel Kritik ich bekomme. Sehr viel sinnvolle übrigens. Niemand ist kritischer zu meinen Interviews als ich selbst.

Welches Interview sehen Sie selbst kritisch?

Alle. Aber über das letzte Interview mit Irmgard Griss zum Beispiel denke ich sehr viel mehr nach als über das mit Frau Winter. Griss hatte einen brillanten Auftritt in der „ZiB 2“ und wurde von vielen Menschen als spannende Präsidentschaftskandidatin gesehen. Und nach dem zweiten Interview twittern die Leute „Die Frau Griss hat sich entzaubert.“

Was gibt Ihnen zu denken?

Wenn ich mir das Interview kritisch anschaue, glaube ich nicht, dass ich eine illegitime Frage gestellt habe. Das Interview war informativ und hat etwas wichtiges gezeigt: Nämlich dass sie keinen Plan hat, wie sie die Präsidentschaftskandidatur anlegt. Aber es gibt mir zu denken, ob es tatsächlich an diesem Interviewformat liegt, wenn eine kluge Frau, die einen sehr guten ersten Auftritt hatte, nach dem zweiten Auftritt angeblich völlig entzaubert ist. Es wäre ein Problem, wenn das der einzige Medienauftritt für die Frau Griss wäre.

Beneiden Sie Print-Journalisten darum, wie sie Interviews führen können?

Total. Sie können jede Frage, die ihnen nicht gefällt, wieder umschreiben und schauen dann in der Zeitung immer brillant aus.

Wäre das Interview mit Susanne Winter im Print erschienen, hätte man es noch bearbeiten und untergriffige Fragen streichen können.

Ich finde ja nicht, dass ich Frau Winter untergriffig befragt habe. Ich habe Sie sehr hart gefragt, habe das aber begründet. Aber grundsätzlich würde ich in jedem „ZiB 2“-Interview manche Fragen anders stellen, hätte ich nochmal die Chance dazu. Es gelingt mir ja wirklich nicht jede optimal. Was ich aber nicht verstehe: Hätte jemand in einer Zeitung auf Seite 1 einen Kommentar geschrieben, dass Frau Winter nichts im Parlament verloren hat, würde kein Mensch darüber diskutieren. Obwohl es ein Urteil ist, zu dem Frau Winter nichts sagen kann. Ich stelle es als Frage, sie kann darauf antworten – live und ungeschnitten. Was ist daran problematisch? Sie können mir jede Frage stellen, solange sie meine Antwort drucken. Jede! Ich würde mich über keine Frage beschweren.

Was ist Ihre Unterhosengröße?

Diese Frage finde ich so absurd, dass ich Sie einfach auslache, weil sie Ihnen nicht peinlich ist.

Sie ist mir eh peinlich. War Ihnen schon einmal einer Ihrer Schlussgags in der „ZiB 2“ peinlich?

Ja, zumindest einen hätte ich mir sparen können, aber ich weiß nicht, welcher das war. Das hab ich erfolgreich verdrängt. Aber die auffälligeren waren eh okay.

Warum machen Sie als seriöser Nachrichtensprecher am Ende eigentlich immer einen Gag?

Weil Fernseh-Nachrichtensendungen in allen Ländern der Welt ein großes Problem haben, junge Zuseher zu erreichen. Und weil diese Schlussgags jungen Zusehern gefallen. Ich mach’s am Ende der Sendung, sie sollen sich ja vorher die kluge Nachrichtensendung anschauen und werden dafür am Ende mit einer kleinen Flapsigkeit belohnt, wenn ihnen das gefällt. Es ist nicht so, dass wir in diesen zwanzig Sekunden einen Hintergrundbericht über den Nahen Osten spielen würden, der dadurch rausfliegt. Ich bekomme darauf praktisch nur positive Reaktionen. Für einen Nachrichtenmoderator kennen mich wirklich viele junge Leute, aber viele kennen die „ZIB 2“ vor allem wegen der zwanzig Sekunden am Ende.

Der Rest kennt Sie vor allem wegen Ihres harten Interviewstils. So wie die Briten Jeremy Paxman von der BBC kennen, der eine Interviewer-Legende wurde.** Er meinte einmal: „Ich frage mich einfach ständig, warum mich dieser lügende Bastard jetzt anlügt.“ Unterschreiben Sie das?

Nein, ich geh nicht mit dieser Grundhaltung ins Interview, dass vor mir ein lügender Bastard sitzt.

Was ist Ihre Grundhaltung?

Ich weiß, dass die Studiogäste nicht kommen, um meine Fragen zu beantworten, sondern weil 600.000 Zuseher dasitzen. Sie wollen nicht mit mir, sondern mit den Zusehern reden. Meine Aufgabe ist es, die sechs Minuten zu verwenden, um möglichst interessante Informationen aus dem Gespräch zu holen. So dass sie den Politiker und das Thema besser verstehen und Widersprüche erkennen.

Schaffen es Politiker in der „ZiB 2“ überhaupt noch, Lösungen anzubieten oder werden sie nur noch hergewatscht?

Das glaube ich schon. Wenn es Lösungen gibt.

Sie haben bei Ihren Sommergesprächen 2012 den damaligen BZÖ-Chef Josef Bucher gefragt, ob nicht zuviele Fotos von ihm in seinem Kochbuch sind. Ob es nicht bitter für ihn sei, dass er einmal beim Kasnudel-Fernsehshowkochen gegen Karl-Heinz Grasser verloren hat. Das ist nur Schlägerei. Wo ist da der Inhalt?

Das Interview hat 55 Minuten gedauert, es waren wahrscheinlich 100 Fragen, von denen schätzungsweise 90 hochpolitisch und sehr ordentlich vorbereitet waren. Das Interview war trotzdem nicht gut und ich bin überhaupt nicht stolz darauf.

Hochpolitisch? Ihre allererste Frage war damals, ob es für einen erwachsenen Mann nicht unwürdig sei, die ganze Zeit mit einer großen BZÖ-Brosche auf der Brust aufzutreten.

Ein erwachsener Mann, der zwei Jahre lang mit einer orangen Riesenpletschn mit einem Spruch auf der Brust herumrennt – ja, das ist unwürdig.

Das zeigt doch, dass sie jemanden ins Eck stellen wollen. Warum fragen Sie das sonst?

Ich weiß nicht, was an der Frage schlimm ist. Die Idee war, ein Porträt-artiges politisches Interview zu machen.

Es ist doch logisch, dass er als Chef einer Vier-Prozent-Partei irgendwie Aufmerksamkeit schaffen will, weil es für ihn um jede Stimme geht.

Das kann er doch sagen. Guido Westerwelle wurde nicht einmal sondern hundert Mal über die gelbe 18 auf seinen Schuhsohlen befragt. Völlig zu Recht.

Das wird er aber nie sagen. So funktioniert Politik ja nicht.

Ich finde es wirklich lustig, dass eine Zeitung, die jede Woche einen Menschen vor 140.000 Lesern zum „Dolm der Woche“ erklärt, ein Problem damit hat, wenn ich jemanden im Live-Interview frage, ob die Pletschn auf seiner Brust nicht unwürdig ist. Herr Bucher konnte wenigstens zurückreden.

Er kann darauf sagen, was er will. Aber die Attacke ist schon passiert.

Er ist auch zwei Jahre mit der Pletschn herumgelaufen. Das muss ich doch hinterfragen können. Aber er konnte immerhin antworten. Der „Dolm der Woche“ wird einfach gedolmt.


* Meine Replik auf die zitierte Kritik Voggenhubers zum Winter-Interview kann man hier im Blog nachlesen (gegen Ende des Textes).
** Vom legendären BBC-Interviewer Jeremy Paxman finden sich zahllose Videos auf YouTube, z.B. dieser kleine Zusammenschnitt.


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Was darf ein Interviewer im ORF?

„Ich unterbreche Sie ungern, aber…“

Der Moderator ohne Kinderstube (PDF)